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Mein liebster Buchladen (6) : Dann schreiwe Se doch emol en Krimi in der Sparkass’

  • -Aktualisiert am

Ein gemütliches Örtchen zum Verweilen: Die Buchhandlung Beltz in Weinheim. Bild: dpa

Das wahre Literaturleben spielt sich beim Besuch des Buchhändlers um die Ecke ab. Schriftsteller wissen das: Die Krimi-Autorin Ingrid Noll stellt ihre Lieblingsbuchhandlung vor.

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          Mit fünf Jahren hieß ich nicht Ingrid, sondern Ame, weil wir in China lebten. Es waren die ersten Worte, die ich schreiben und lesen konnte, und von da an ließ es mich nicht mehr los. Als kleine Leseratte hatte ich allerdings in Nanking keine große Auswahl an Kinderliteratur zur Verfügung und las schon viel zu früh – und ohne sie zu verstehen – einige Bücher unserer Eltern. Ich bin also mit Heidi und Nesthäkchen ebenso groß geworden wie mit Robinson, Simplicissimus und Heines Gedichten. 1949 flüchteten wir vor Maos Truppen nach Deutschland, ich besuchte endlich ein Gymnasium und fing an zu lesen, was mir in die Finger kam. Die gute Note in Deutsch konnte die Fünf in Mathe ausgleichen.

          Später habe ich die Romane von Thomas Mann gelesen, Böll, Grass, Dürrenmatt, Max Frisch und andere moderne Klassiker, aber auch Schiller und Goethe, Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer, Romantiker und Märchen, Freuds Traumdeutung, Kunst- und sogar Kochbücher. Eben alles, was mir interessant vorkam. Inzwischen sind meine alten Augen müde, die Arbeit am Bildschirm strengt an. Leider kann ich nicht mehr stundenlang lesen, aber ich finde es immer spannend, wenn ich Bücher von Kollegen erhalte, die ich persönlich kenne. Zum Beispiel hat mich das letzte Buch des von mir besonders geschätzten Autors Urs Widmer, „Reise an den Rand des Universums“, sehr bewegt. Alles Neue von Martin Suter wird verschlungen. Und auch die befreundeten Kollegen aus der Krimi-Welt schicken mir ihre frisch gedruckten Werke, ich mache es natürlich ebenso. Und dann versichern wir uns gegenseitig, wie toll wir uns finden.

          Ein gepolstertes Bänkchen zum Lümmeln

          Seit mehr als siebenundvierzig Jahren ist Weinheim an der Bergstraße meine Heimatstadt. Natürlich haben meine hiesigen Leser das Privileg, sich bei mir zu Hause etwas Persönliches in einen Roman schreiben zu lassen oder in unseren Buchhandlungen ein signiertes Exemplar abzuholen. Daher schaue ich in den örtlichen Buchläden vorbei und signiere für meine Fans, vor allem bei Neuerscheinungen. Doch wir Schriftsteller sind auch Leser und besuchen Buchhandlungen aus Neugier oder um uns beraten zu lassen, uns umzuschauen, nach Romanen, Bilderbüchern, Sachbüchern zu suchen. Natürlich kennen wir durch unsere Lesereisen viele Buchhandlungen im ganzen deutschsprachigen Raum. Es wäre ein Jammer, wenn unsere Städte weiter ausbluten, und würden nur die großen Filialen überleben könnten. Gerade in dieser Branche sind es die kleineren Geschäfte, die hervorragend sortiert, liebenswert und interessant sind, so dass es fast ungerecht wäre, eines besonders hervorzuheben.

          Trotzdem braucht man eine Buchhandlung, die in der Nähe liegt, deren Inhaber, Geschäftsführer und Angestellte man kennt, wo man mal eben hineinschneien kann, sich schnell noch ein Buch für den Geburtstag der Enkelkinder empfehlen lässt oder ein Weihnachtsgeschenk für die Freundin. Prima inter Pares am Ort ist für mich die Beltz Buchhandlung, die 1998 in die Weinheimer Stadtmitte umgezogen ist. Sie gehört zu keiner Kette, ist originell und individuell ausgestattet, liegt ebenerdig und ist auch für Rollstuhlfahrer und selbst für Mütter mit Zwillingskinderwagen gut zu erreichen. Trotz der großen Grundfläche erscheint der Raum übersichtlich. Der Schwerpunkt liegt auf Belletristik und Kinderbüchern, aber auch andere Sparten wie Reisen, Krimis, Kochen, Kunst, Fantasy, Naturwissenschaften, Biographien, Gesundheit, Klassik, Geschichte, Politik, Wirtschaft, Philosophie und noch weitere sind gut vertreten und schnell zu finden. In der Mitte stehen mehrere Ablagen mit Neuheiten, ein gepolstertes Bänkchen zum Lümmeln und Stühle sowie ein Tisch, um in Ruhe blättern und lesen zu können.

          „Sie sind doch die, wo die Krimis schreibt?“

          Als vierfache Großmutter halte ich mich gern in der Kinderecke auf, wo es einen Freiraum zum Spielen und süßen Trost für heulenden Nachwuchs gibt. Für jedes Alter ist eine große Auswahl vorhanden, im Augenblick feiert der Grüffelo seinen fünfzehnten Geburtstag. Dort lasse ich mir gern ein passendes Buch empfehlen. In meiner Lieblingsbuchhandlung verliert überhaupt nie jemand die Nerven, selbst beim turbulenten Weihnachtsgeschäft sind Frau Beltz-Rübelmann, Herr Fuhrmann und ihre Mitarbeiter freundlich, hilfsbereit und bedienen alle Kunden mit Sachkenntnis.

          Schätzt die kleine Buchhandlung um die Ecke: Die Schriftstellerin Ingrid Noll.
          Schätzt die kleine Buchhandlung um die Ecke: Die Schriftstellerin Ingrid Noll. : Bild: dpa

          Bei jedem Besuch in unserem Städtchen, bei dem ich eigentlich nur zum Frisör, zur Drogerie oder zur Bank wollte, muss ich fast zwanghaft vor den großen Schaufenstern stehenbleiben und mir anschauen, wie kreativ man wieder dekoriert hat, wie man Jahreszeitliches oder Neuerscheinungen, heimatbezogene Themen oder Reiselektüre plaziert hat. Meistens bleibt es nicht beim Stehenbleiben, ich trete ein, werde begrüßt und lasse mich inspirieren. Mit leeren Händen verlasse ich selten die Buchhandlung, mal nehme ich ein Bilderbuch, mal einen riesengroßen Kalender oder auch nur eine Postkarte mit nach Hause.

          In der Beltz Buchhandlung treffe ich oft Bekannte. Viele Weinheimer sind Stammkunden. Hier lerne ich auch meine Leser kennen und meine Nichtleser. Die Sparkasse liegt in unmittelbarer Nähe, ein beleibter Mann stellte sich mir unlängst in den Weg. „Sie sind doch die, wo die Krimis schreibt?“ – „Ja, die bin ich.“ – „Dann schreiwe Se doch emol en Krimi, der hier in der Sparkass’ spielt. En Iwwerfall! Und ich will auch drin vorkomme!“ – „Was möchten Sie denn sein? Bankräuber, Leiche, Polizist oder Geisel?“ – Er überlegte. „Mache Se mit mir, was Se wolle, aber mache Se mich dünner!“

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