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Krimi „Die Lieferantin“ : Wenn die Drogen mit der Drohne kommen

Plötzlich hat es „Klick“ gemacht: Die Autorin Zoë Beck. Bild: Victoria Tomaschko

Zoë Beck wollte nie Regional- und auch keine Frauenkrimis schreiben. Darin ist sich die Schriftstellerin treu geblieben. Sie erzählt lieber von einem Drogenkrieg in London nach dem Brexit.

          6 Min.

          Die Drohne war früh aufgestiegen, sie schwebte schon über dem Exposé, gerade mal so groß wie ein Spatz, Zoë Beck hatte es nur noch nicht bemerkt. Sie wollte in ihrem neuen Roman von Drogen erzählen und von organisierter Kriminalität, von einer jungen Frau in London, die Drogen verkauft. Dazu hatte sie recherchiert. Ein Bekannter hatte ungefähr zu der Zeit eine Dokumentation über Drohnen fertiggestellt, sie fand das Thema aufregend, und auf einmal, sagt Zoë Beck, „machte es dann Klick“. Es kam zusammen, was sehr gut zusammenpasst, wenn man den Kriminalroman „Die Lieferantin“ liest.

          Peter Körte
          Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

          Die junge Ellie, so heißt die Titelfigur, hat ein Start-up-Unternehmen, das Hightech-Drohnen entwickelt, und ohne Wissen ihres Auftraggebers hat sie ein gutes Dutzend davon an Leute verteilt, die damit nach Bestellung im Darknet Drogen in Greater London zustellen, beste Qualität, sicher, geräuschlos, gelegentlich wegen heftiger Witterungsbedingungen mal nicht einsatzfähig. Und mit einer politischen Agenda: Weil die britische Regierung nach dem Brexit den „Druxit“ plant, weil sie an die Schimäre eines drogenfreien Großbritanniens glaubt, dealt die Lieferantin für die Freiheit, „dass erwachsenen Menschen zugestanden wurde, Entscheidungen für sich zu treffen, nachdem sie sich informiert hatten und wussten, welche Risiken sie eingingen“.

          Straßenszene im Londoner Stadtteil Brixton, einem der Schauplätze von Zoë Becks Roman „Die Lieferantin“.
          Straßenszene im Londoner Stadtteil Brixton, einem der Schauplätze von Zoë Becks Roman „Die Lieferantin“. : Bild: Matthias Lüdecke

          Leider gebe es derart leistungsfähige Drohnen noch nicht, sie habe da ein wenig hinzuerfinden müssen, sagt Zoë Beck mit einem Lächeln, während wir beim Mittagessen in Berlin-Zehlendorf sitzen, weit entfernt von Mitte. Hier ist Berlin noch provinziell und dörflich, wie es früher zu West-Berlin-Zeiten war, hier wohnt der Bundespräsident gleich um die Ecke, weshalb man sich bei der Parkplatzsuche misstrauischen Polizistenblicken aussetzt. Die 42-Jährige wohnt hier, in dieser Halbdistanz zur Stadt, Randlagen hat sie schon, als sie in Hamburg und in München lebte, geschätzt.

          Dealen mit politischer Mission

          „Die Lieferantin“ ist bereits ihr achter Kriminalroman, wenn man die fünf nicht mitzählt, die sie unter ihrem Geburtsnamen Henrike Heiland veröffentlicht hat. Als Zoë Beck, wie sie sich nach einem Einschnitt in ihrem Leben nannte, wechselte sie auch Schauplätze und Schreibstil, wenngleich sie sagt: „Ich versuche ja auch, in jedem Buch eine Stimme zu finden.“

          Dass die Beck-Bücher in England und Schottland spielen, liegt ganz einfach daran, dass sie Anglistik studiert und in England gelebt hat, dass ihr diese Welt vertraut ist. Der Terrainwechsel hat allerdings auch damit zu tun, dass die Vorgaben der Verlage für Krimis, die in Deutschland spielen, ihr damals, vor knapp zehn Jahren, viel zu eng waren. Gewünscht waren Regionalkrimis, und bloß nicht zu düster. Henrike Heiland musste sich anhören, ihre Themen seien „zu schwer“, man könne die Bücher schließlich nur in der Region verkaufen.

          Und Zoë Beck ärgert sich noch heute darüber, wie die Einkäufer der großen Buchhandelsketten beinahe diktierten, was geschrieben wurde. Was die Leute angeblich lesen wollten, das wurde an die Agenten weitergegeben, die dann zu ihren Autoren sagten: „Willst du das nicht auch mal probieren?“ Sie wollte nicht. Erst recht wollte sie nicht dem entsprechen, was das Label „Frauenkrimi“ gemeinhin so vorsieht.

          Und weil Zoë Beck als Person wie als Erzählerin einen ausgeprägten Sinn für Ironie hat, spricht sie mit höflicher Distanz von „Strukturvorgaben“ der Verlage, die auf vermeintlich unanfechtbaren Erkenntnissen darüber beruhen, welche Bücher Männer schreiben und welche sie lesen – und welche nicht, Bücher von Frauen nämlich.

          Bloß kein Lokalkolorit!

          Dass sie nach England auswich, wurde natürlich auch nicht bejubelt, aber für Zoë Beck war es eine Befreiung vom Zwang zum possierlichen Lokalkolorit. Sie musste sich auch weiterhin behaupten und streiten für ihre Projekte, auch dort, wo es um den Buchtitel ging oder um die Gestaltung des Covers. „Es war immer ein Kampf“, sagt sie, bei dem sie mal gewonnen und mal verloren habe.

          Mit dem Umschlag der „Lieferantin“ ist sie zufrieden, das Hochglanz-London-Bild mit der kleinen Drohne aus dem Photoshop ist ihr (und uns) erspart geblieben. Auch ohne Kampf. Es hätte tatsächlich nicht gepasst zu diesem Ensembleroman, der mit dem charmanten kleinen Hinweis beginnt: „London, vielleicht bald“. Als sie zu schreiben begann, war der Brexit absehbar, wenngleich sie jeden Tag gehofft habe, er möge sich noch mal abwenden lassen. Im Roman ist er Realität, und die Folgen sind so hässlich, wie man das erwarten darf.

          Das gibt es nicht nur in London: Passagiere gewärtigen in der Waterloo Station, dass nicht jeder Zug pünktlich kommt.
          Das gibt es nicht nur in London: Passagiere gewärtigen in der Waterloo Station, dass nicht jeder Zug pünktlich kommt. : Bild: dpa

          Kapitel für Kapitel bis hin zur Eskalation entfaltet sich das komplizierte Geflecht der handelnden Personen. Der Wirt Leigh, der den zu gierigen Schutzgelderpresser Gonzo umgebracht und die Leiche unterm neu betonierten Fußboden im Lagerraum deponiert hat, ist ein Katalysator: Das Verschwinden Gonzos alarmiert den Boyce-Clan, für den er tätig war, die Drogengroßhändler sehen sich unter Druck, ihr Image leidet, weil sie nicht kundengerecht arbeiten und Marktanteile an „Legalisierungs-Gutmenschen“ wie Ellie verlieren, weil die den besseren Service und die modernste Zustellmethode hat.

          Dass die Wunderdrohnen bei jedem Abwurf Fotos der Kunden machen, ist so etwas wie eine Rückversicherung. Ellie wird sie ziemlich schnell brauchen, und es hilft, dass sich in ihrer Kundendatei natürlich auch hochrangige Gestalten aus Polizei und Verwaltung mit Bild finden.

          Kettenreaktion im Untergrund

          Während im Untergrund ein kleiner Drogenkrieg beginnt, geht es auf den Straßen Londons rauh zu. Die Anti-Druxit-Kampagne prallt auf die nationalistische Bewegung der „Rotweißblauen“, benannt nach den Farben des Union Jacks, Autos brennen, das Gesundheitssystem schwächelt. Dann bricht Ellie ihr Hauptlieferant weg, und die Old Economy des Drogenhandels setzt ein Kopfgeld auf sie aus.

          Zoë Beck hat die Fäden dabei fest in der Hand. Die Querverbindungen, die sich zwischen den Personen ergeben, sind schlüssig, und die Kausalkette, die aus den verschiedenen Ereignissen entsteht, wirkt nie forciert. Nur ganz selten steht da mal ein Satz, der ein wenig zu erläuternd oder didaktisch wirkt.

          Dass Zoë Becks Sympathie den Befürwortern der Legalisierung gehört, macht das Buch nicht zum Thesenroman mit einer politischen Agenda. Die Beschäftigung mit Drogen, sagt sie, habe bei ihr eine lange Geschichte. „Ich habe selbst nie – zum Glück – den Drang gehabt oder Suchterfahrungen gemacht.“ Aber sie kenne viele Menschen aus ihrem Umfeld, die in trostlose Drogenkarrieren gestolpert seien, junge Menschen aus scheinbar intakten, normalen Familien.

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          „Verbote sind keine Lösung“, sagt Zoë Beck, es sei doch seit langem bekannt, dass Prohibition den Griff zu härteren Drogen nahezu automatisch nach sich ziehe. „Ich weiß ja auch nicht, wie man mit Dingen wie Crystal Meth umgehen soll“, sagt sie mit einem ratlosen Achselzucken, aber so etwas wie der fiktive „Druxit“ im Roman stürze die Abhängigen nur immer tiefer hinein in die Ausweglosigkeit. Und nicht nur als Leserin der Drogenkrimis von Don Winslow sind ihr die politischen und gesellschaftlichen Implikationen sehr bewusst.

          Verbote haben noch nie geholfen

          Romane sollen ja auch keine politischen Plädoyers ersetzen, und „Die Lieferantin“ tut auch nicht so, als kenne sie ein Rezept. Zoë Beck weiß dafür, wie man einen Spannungsbogen entwirft, und es hat ihr sicher nicht geschadet, dass sie, bevor sie Schriftstellerin wurde, als Producerin im längst untergegangenen Medienimperium von Leo Kirch gearbeitet hat. Sie betreute internationale Koproduktionen, sie verdiente gut, die Arbeit machte ihr Spaß. Sie habe sich damals allenfalls vorstellen können, mal ein Drehbuch zu schreiben, sagt sie. An Prosa habe sie nie gedacht.

          Als die Kirch-Pleite kam, als die Blase der New Economy platzte, musste sie auf einmal ganz neu anfangen. Sie betreute Kinderprogramme, schrieb hier und da, „und dann fragte eine ehemalige Kollegin, die nach der Kirch-Pleite zu einer Literaturagentur gegangen war: ,Möchtest du nicht Romane schreiben? Ich glaube, du kannst das.‘ Ich sagte: ,Nein, kann ich nicht‘, und daraus wurde dann ein Vertrag über drei Bücher.“

          Sie machte sich selbständig, und dann erschloss sich noch ein weiterer Horizont. Sie hatte für den Disney Channel gearbeitet, und da fragte man sie eines Tages, ob sie nicht die Redaktion für Synchronproduktionen übernehmen wolle, da es keine Eigenproduktionen mehr gab. Sie habe kurz nachgedacht und dann entschlossen gesagt: „Krieg’ ich hin!“

          Arbeit und Leidenschaft

          Wenn sie von dieser Arbeit erzählt, die sie bis heute regelmäßig macht, ist sie mindestens so leidenschaftlich wie im Gespräch über Bücher. Sie hat, unter anderem, die deutsche Fassung einer Staffel von „Orange Is the New Black“ geschrieben und Regie geführt bei einer Staffel von „Fear the Walking Dead“.

          Es mache ihr riesigen Spaß, sagt sie, den richtigen Ton zu treffen, die Vorlage in sprechbares, lebendiges Deutsch zu verwandeln und mit Schauspielern zu arbeiten, auch wenn das gelegentlich dazu führe, dass man jemanden entlassen müsse, der oder die der Rolle nicht gewachsen sei.

          Und sie kann sich herrlich lustig machen über das mangelnde Sprachgefühl mancher Übersetzer. Bei einem Cartoon mit einem unübersehbaren Staubsauger im Bild, erzählt sie, habe der Dialogbuchautor daraus gemacht: „Wir haben ein großes Vakuum hier.“

          Zoë Beck muss jetzt noch lachen, wenn sie daran denkt. Nicht weil sie sich für die größte aller Übersetzerinnen hält, sondern weil sie aus der langjährigen Vertrautheit mit der englischsprachigen Literatur weiß, dass Respekt und eine gewisse Demut dazugehören und acht Jahre Schulenglisch keine hinreichende Qualifikation fürs Übersetzen sind, weder für eine amerikanische Serie noch für Henry James.

          So sind wir dann am Ende doch wieder bei den Büchern gelandet, bei den Kriminalromanen, die sie „nur noch sehr ausgewählt“ liest, „da überrascht einen wenig“, oder bei Vladimir Nabokovs Roman „Fahles Feuer“, den sie sehr bewundert, bei Autoren, die sie schätzt, ohne dass sie deshalb jetzt von so ominösen Faktoren wie Prägung oder Einfluss reden wollte. Und so weit ihre Leseinteressen auch gespannt sind – eine Textsorte meidet sie derzeit, da „Die Lieferantin“ gerade mal auf dem Markt ist, lieber: Rezensionen ihres eigenen Buches.

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