Thriller von Luca D’Andrea : Tradition trifft Skorpion
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Schwerverletzt in der Gletscherspalte hört Salinger zum ersten Mal die Stimme der Betie, dann trifft zum Glück die Bergrettung ein. Bild: Alexander Maria Lohmann
Am Rande des Irrsinns befindet sich der schwerverletzte, in einer Gletscherspalte gefangene Protagonist in Luca D’Andreas Romandebüt „Der Tod so kalt“. Sind die mysteriösen Geräusche, die er hört, nur Ausdruck seiner Angst?
Vor zehn Jahren entdeckten Geologen von der Universität Bristol nahe dem Eifelstädtchen Prüm die knapp einen halben Meter lange Schere eines urzeitlichen Süßwasser-Skorpions. Dessen Körpermaß wurde daraufhin auf rund zweieinhalb Meter geschätzt - eine Sensation, zeigte der Fund doch, dass die Tierwelt auch im Bereich der Gliederfüßer erheblich größere Exemplare hervorbrachte als heute, da Skorpione nur noch zwanzig Zentimeter lang werden. Das nach dem deutschen Geologen Otto Jaekel benannte Spinnentier (Jaekelopterus rhenaniae) muss zu den ungefährdeten Räubern an der Spitze der Nahrungskette gehört haben.
Mit der möglichen Fortexistenz eines solchen Monsters in einem entlegenen Alpental spielt der Südtiroler Luca D’Andrea, 1979 in Bozen geboren, in seinem heute erscheinenden Romandebüt „Der Tod so kalt“, im Original „La sostanza del male“ (Die Substanz des Bösen). Und tatsächlich bieten sich im Verlauf der Handlung mehrere materielle und immaterielle Aggregatzustände an, die das Böse in diesem Plot verkörpern dürfen. Einer davon ist die Vergangenheit: In diese stolpert der amerikanische Dokumentarfilmer Jeremiah Salinger, als er seiner Frau Annelise und Tochter Clara in deren entlegenes Heimatdorf Siebenhoch nach Südtirol folgt.
„Die Stimme der Bestie“
Vierzehnhundert Meter über dem Meer, siebenhundert Einwohner und bei keinem die Neigung, etwas auszuplaudern, was einen Fremden nichts angeht. Bei einem Unfall, den der Ich-Erzähler Salinger bei Dreharbeiten über die Arbeit der Bergrettung erleidet und den er in einer Gletscherspalte schwerverletzt überlebt, hört er zum ersten Mal „die Stimme der Bestie“ - und wie der Leser weiß Salinger nicht genau, ob ihm das Geräusch der Eismassen an den Rand des Irrsinns treibt oder ob die „Bestie“ das fehlende Verbindungsglied zu einer Geschichte ist, die sich drei Jahrzehnte zuvor in einer geheimnisumwitterten Schlucht zugetragen hat: Als „Massaker vom Bletterbach“ ging in die Dorfgeschichte ein, wie drei ortsansässige Jugendliche im Verlauf eines tagelang wütenden Unwetters zu Tode kamen - ihre Leichname so zugerichtet, dass es kaum Worte und schon gar keine Erklärung dafür gab.
In seiner langen Rekonvaleszenz beginnt Salinger, sich für die Umstände des Massakers zu interessieren, sehr zum Verdruss seiner Frau, die er beständig hinters Licht führt, sehr zum Unmut all jener Zeitzeugen, die damals, wenn nicht dabei, so doch in gewisser Weise beteiligt waren. Von da an ist „Der Tod so kalt“ im Kern eine tausendfach erzählte Dorf-mit-düsterer-Vergangenheit-Geschichte, in der jede mit jedem und so weiter. Aber eben nicht nur, denn der Autor - der wie sein Protagonist einen Dokumentarfilm über die Bergrettung gedreht hat - macht den typischen Anfängerfehler und überwölbt seine Alpensaga pfundweise mit Psychothrillergarnitur, damit auf keinen Fall irgendeine Art von Törggelen-Seligkeit aufkomme (auch wenn viel getrunken wird).
Selbstredend taucht auch Jaekelopterus rhenaniae auf, jedenfalls als Möglichkeitsform, diesen Dreh lässt sich Luca D’Andrea nicht entgehen, und deswegen rutscht der Thriller passagenweise Richtung Jurassic Park all’Alto Adige. Sprachlich bleibt das Debüt in den üblichen Zumutungen des Genres, etwa wenn eine Alkoholikerin gesteht: „Die Liebe ist nicht so einfach, wie uns die Filme glauben machen wollen“ oder wenn ein Tatverdächtiger deklamiert: „Seit jeher warfen unsere Vorväter Mörder, Vergewaltiger und Unruhestifter dort hinein. (...) Die Höhlen sind groß und finster. Sie nehmen alle auf.“ So hetzt Salinger bis an den Rand der geistigen und körperlichen Erschöpfung und stürzt dann über die Kante ins Bodenlose. Der erschöpfte Leser aber denkt: ein paar Schraubendrehungen weniger hätten der Plausibilität nicht geschadet.