Thriller von Denis Johnson : Gar nichts ist sicher!
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Unterwegs in Kongo Bild: Sven Torfinn/laif
Wo die Realität keine Tatsache ist: Denis Johnsons Roman „Die lachenden Ungeheuer“ spielt in Afrika und erzählt eine Agentengeschichte, die sich liest wie ein Malariafiebertraum.
Wer von dem amerikanischen Schriftsteller Denis Johnson einen ganz normalen Spionagethriller erwartet, der könnte auch von Elmore Leonard einen hübschen Heimatroman verlangen. Oder von Quentin Tarantino ein problemorientiertes deutsches Fernsehspiel. Solche Erwartungen sind nur dazu da, enttäuscht zu werden.
Man kann stattdessen neue Erfahrungen sammeln mit diesem Buch, das „Die lachenden Ungeheuer“ heißt und das Johnson „eine Agentengeschichte mit ernsthaften Absichten, wenn man so will“, genannt hat. Was implizit ja besagt, dass es heute mit der Ernsthaftigkeit anderer Agentengeschichten so weit nicht her sein kann.
Dieser unausgesprochenen Diagnose lässt sich schwer widersprechen. Die großen Tage eines John le Carré sind seit dem Ende des Kalten Kriegs vorbei, die Eleganz und Hellsicht eines Graham Greene oder Eric Ambler sind längst tiefste Vergangenheit und eine schöne Erinnerung. Das, was heute unter dem Label „Thriller“ auf den Markt kommt, kann literarisch sowieso kaum mithalten und hat auch keine antizipatorischen Fähigkeiten mehr zu bieten.
Meist ist der Blick auf die Geheimdienstwelt eher krude, alles wirkt entweder ein bisschen zu ausgedacht oder bleibt hinter dem zurück, was Untersuchungsausschüsse oder Whistleblower ans Licht bringen.
Hier gehen die Uhren anders
Bei Denis Johnson gehen die Uhren anders. Es ist die Zeit nach 9/11: eine Welt, in der die Befugnisse und Mittel der Geheimdienste zwar unverhältnismäßig erweitert worden sind, in der sie jedoch lieber auf Drohnen und digitale Überwachungsinstrumente setzen als auf ihren Mann in Havanna oder Peking.
In Afrika, dem Schauplatz der „Lachenden Ungeheuer“, fehlt zudem noch die Infrastruktur für Big Data: zu wenig W-Lan, zu wenige Internetanschlüsse. Und wenn Johnsons Figuren auch Laptop und Verschlüsselungssoftware benutzen, so kommt einem der Roman doch vor wie ein Stück aus analogen Zeiten.
Denis Johnson ist selber mehrmals in Westafrika gewesen, in Somalia und Liberia vor allem, als dort der grauenvolle Charles Taylor regierte. Jonson hat grandiose Reportagen darüber geschrieben. Auch sonst weiß der Autor, der 1949 in München geboren wurde und in Tokio und Manila aufwuchs, genau, worüber er spricht.
Sein Vater arbeitete fürs amerikanische Außenministerium als Verbindungsmann zwischreaen der United States Information Agency und der CIA. Und dass Johnson in jüngeren Jahren Erfahrungen mit diversen Drogen und Halluzinogenen gesammelt hat, war in früheren Romanen wie „Schon tot“ oder in dem Erzählungsband „Jesus’ Sohn“ unübersehbar.
Roland Nair, der Icherzähler in den „Lachenden Ungeheuern“, trinkt zu viel, er ist ein Däne mit amerikanischem Pass, arbeitet für den Geheimdienst der Nato und ist daher schon ziemlich bald nach seiner Ankunft in Sierra Leone als ein typischer unzuverlässiger Erzähler durchschaut, dem man als Leser so wenig glaubt, wie Nair die Geschichten seines alten Freundes Michael Adriko glauben kann.
Wer hat welche Mission?
Adriko hat ihn nach Sierra Leone gelockt; oder Nair ist von seinem Dienst dorthin geschickt worden, um Adriako zur Strecke zu bringen. Beides ist gleichermaßen wahrscheinlich in einem Milieu, in dem Loyalitäten und Identitäten verschwimmen. In jedem Agenten steckt potentiell der Doppelagent oder zumindest jemand, der einen Auftraggeber hat und zugleich in eigener Mission handelt.
Das ist eine reizvolle Grundsituation für einen Roman: der eklatante Mangel an Gewissheit. Und dieser Mangel ist nicht etwas, was dieses Buch in seinem Fortgang genregerecht verringern wollte.
Im Gegenteil: Der Mangel wächst, noch die eigene Wahrnehmung des Erzählers wird fragwürdig, wenn Nair einem Kontaktmann mit „winziger Persönlichkeit und Spatzengesicht“ gegenübersteht und auf einmal überrascht feststellen muss, dass der so groß ist wie er selbst: „Und so war selbst seine Größe eine Täuschung.“
Im Laufe des Weges, den der Roman mit Nair, Adriko und dessen amerikanischer Verlobten Davidia zurücklegt, werden auch die Wörter desto unzuverlässiger und trügerischer, je mehr sie für Lügen, Verschleierungen, Verzerrungen und andere Täuschungsmanöver benutzt werden.
„Welche Wörter soll ich benutzen? Widersinnig. Unmöglich. Nicht der Realität entsprechend“, sagt Nair einmal zu Adriko. Und weil man heute offenbar alternativen Fakten und Fake News nicht entkommt, entdeckt man sie retrospektiv auch noch in einem Roman aus dem Jahr 2014, weil Adriko mit dem fabelhaften Satz antwortet: „Die Realität ist keine Tatsache.“
Verschleißende Wörter
Während die Drei von Freetown nach Entebbe in Uganda und von dort über die grüne Grenze in den Kongo reisen, während sie in die Hände der kongolesischer Armee geraten, um schließlich zu den Bergen zu kommen, welche dem Roman seinen Titel gegeben haben, geht auch mehr verloren als nur Handy, Funkverbindung und Laptop.
Nair führt eine Art delirantes Tagebuch: delirant, weil er weitertrinkt, weil er nicht mehr zu wissen scheint, ob er nun seiner Amsterdamer Freundin (und Komplizin) Tina schreibt oder Adrikos Verlobter Davidia, in die er sich unsterblich verliebt zu haben glaubt.
Je länger seine Reise dauert, desto labyrinthischer wirkt sie. Er folgt, auf der Suche nach Michael, im Kongo zu Fuß dem Fahrrad eines Sargmachers, der zwei lilafarbene Kindersärge transportiert – und wenn man sich allein diese Szene in den Hügeln Afrikas vorzustellen versucht, hat das Buch sofort diese leicht surreale, drogenerleuchtete Stimmung, die man aus anderen Johnson-Büchern kennt.
Der Alkohol, den Nair mit örtlichen Kuhhirten teilt, Kochbananen und Zuckerrohr in einer Lösung fermentiert, hat auf die Erzählung in etwa die Wirkung, die Nair an einem Mann beschreibt, der „hereingeflogen kam, anscheinend auf den Schwingen der fantastischsten Droge, die jemals hergestellt worden war. Er redete in Zungen, seine Füße berührten den Boden nicht, er wurde allein von seinem Lächeln durch die Gegend getrieben.“
Fantastische Drogen
Ein Erzähler, der sich in einem vergleichbaren Gemütszustand befindet, könnte normalerweise ziemlich schnell nervig werden – aber es ist halt ein Erzähler in einem Roman von Denis Johnson, der einem lauter solche Sätze schenkt, die man sich einrahmen könnte.
„Die lachenden Ungeheuer“ ist deshalb ein Roman wie ein Malariafiebertraum oder wie ein Protokoll aus einem Rausch, in dem die Dinge scheinbar klarer werden als im nüchternen Zustand. Da muss man gar nicht, weil es halt der Kongo ist, sofort auf Joseph Conrad und „Herz der Finsternis“ verweisen, obwohl es natürlich nie falsch sein kann, an diesen Roman zu denken.
Roland Nairs Reise durch den Kontinent hat ihre eigene Logik. Sie verlässt nicht erst am Ende den ausgetretenen Weg des Agententhrillerplots. Da ist unterwegs längst etwas porös geworden, da geht es weniger um Aufklärung eines Falls als um individuelle Erlösung, weniger ums Erinnern als ums Vergessen. Und man sollte sich nichts vormachen: Auch der Tatsachencharakter der Realität hat im Zuge dieser Entwicklung schwer gelitten.