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Krimi „Ein Job für Delpha“ : Die Detektivin, die aus dem Knast kam

Amerikanische Landschaft, in der Lisa Sandlin ihre Detektivin ermitteln lässt: die Petrobas-Raffinerie in Pasadena, Texas. Bild: AP

Krimiautorin Lisa Sandlin erzählt von einer Heldin der besonderen Art: Vierzehn Jahre saß sie wegen Totschlags im Gefängnis. Sie fängt als Sekretärin in einem Detektivbüro an. Und löst einen großen Fall.

          2 Min.

          1973. Washington wird vom Watergate-Skandal erschüttert. Im südöstlichen Texas, in Beaumont, einer Stadt der Ölindustrie, treffen sich an einer Lebenswegekreuzung Tom Phelan und Delpha Wade. Er ist Vietnam-Veteran, hat auf den Bohrinseln im Golf von Mexiko gearbeitet, wo er einen Finger verlor. Nun macht er sich als Privatdetektiv selbständig. Unerfahren, nicht ganz planvoll vorgehend, aber charmant und im Grunde ein guter Kerl. Dass er weiter oben im Polizeiapparat einen Onkel (nie sind es Tanten!) hat, hilft bei seiner Entscheidung. Ein Freund aus Militärzeiten, jetzt Bewährungshelfer, bittet ihn, Delpha Wade eine Chance zu geben. Schließlich brauche er doch eine Sekretärin.

          Hannes Hintermeier
          Feuilleton-Korrespondent für Bayern und Österreich.

          Delpha ist zweiunddreißig Jahre jung, vierzehn Jahre ihres Lebens hat sie wegen Totschlags im Gatesville Women’s Prison verbracht. Die 2014 erschienene Originalausgabe verwendet das umgangssprachlich gebräuchliche Wort für Gefängnis als Titel – „The Do-Right“. Als Siebzehnjährige wurde Delpha von einem Duo aus Vater und Sohn vergewaltigt, den Sohn tötete sie mit einem Messer, der Vater flüchtete. Sie wird ihm im Lauf des Romans wiederbegegnen, und er wird sie nicht erkennen.

          Einstweilen wohnt Delpha in einem abgewrackten Hotel und beginnt eine Affäre mit einem Collegestudenten. Sie ist smart und lebenshungrig, bei Phelan Investigations zeigt sie schnell ihre Talente. Die ersten Aufträge der Detektei sind Üblichkeiten, aber schon lange war man als Leser nicht mehr Gast in einem so souverän an die großen Zeiten der Private-Eye-Romane anknüpfenden Büro. Das kann den heute handelsüblichen Aufkleber „Noir“ – mittlerweile so inflationär wie Bio-Etiketten auf Lebensmitteln – nicht verhindern.

          Lisa Sandlin aber gelingt eine innovative Interpretation des Genres, in dem sie eine Sekretärin zur eigentlichen Hauptfigur macht. Die Autorin stammt aus Beaumont, wo ihr Vater in der Ölindustrie tätig war. Heute lebt sie in Santa Fe, New Mexico, wo sie Schreiben unterrichtet. „Ein Job für Delpha“ ist ihr Krimi-Debüt, das sie im Alter von vierundsechzig Jahren ablieferte; zuvor war sie mit Kurzgeschichten hervorgetreten. Sandlin hat ein Händchen für Dialoge, aber auch für Atmosphäre, hier bei einem Ausflug ans Meer: „Das Land gab sie aus seiner Umklammerung frei, es wich einem blauen Saum links und rechts, weiter als ihre Augen reichten. Es war unmöglich, das alles auf einmal zu erfassen, tief genug einzuatmen. Überwältigt brach alles in Delpha auf, weitete sich unendlich, als sie den Horizont und dessen salzigen Atem aufnahm. Es war nicht lang her, da wollte sie Zimmer 221 im New Rosemont Hotel sein. Jetzt sah sie den lebendigen, unermesslichen Ozean, hörte ihn, roch ihn, und wusste, dass sie nicht mehr so leicht in das Zimmer passen würde.“

          Blick in den Rückspiegel: „Ein Job für Delpha“ ist bei Suhrkamp erschienen.
          Blick in den Rückspiegel: „Ein Job für Delpha“ ist bei Suhrkamp erschienen. : Bild: Suhrkamp

          Die ersten Fälle: ein verschwundener Junge, ein vergifteter Hund und ein Beinamputierter, dessen Schwester seine Prothese als Geisel genommen hat. Dann kommt der Klassiker: Eine gehörnte Ehefrau, die Bilder von ihrem betrügerischen Ehemann bestellt. Nach Ablieferung des Beweismaterials stellt sich heraus, dass die Auftraggeberin gar nicht mit dem Mann verheiratet ist. Erst nach der Hälfte des Buches schliddert die Story von da an auf einen großen Fall zu. Es geht um viel Geld, um Industriespionage und um einen Serienkiller, der es auf Jungs abgesehen hat. Ein Erzählstrang widmet sich Phelans Ermittlungen, der andere folgt den Spuren Delpha Wades.

          Der Verlag war gut beraten, die Übersetzung in die bewährten Hände von Andrea Stumpf zu legen: Sie hat das Gespür für Nuancen, das bei ambitionierter Prosa vonnöten ist. Es hilft freilich auch der große Magen, den viele Krimileser haben, weil Sandlin in puncto Schlüssigkeit des Plots Kommissar Zufall viel Spielraum gewährt. Manches Puzzleteil passt da allzu leicht zum nächsten. Aber die Figuren sind stimmig und ausbaufähig. Wie das gelingt, wird die Fortsetzung zeigen, an der Lisa Sandlin bereits schreibt.

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