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Foto: Joachim Gern

Frau Lisas Gespür
für Schmäh

FRIDTJOF KÜCHEMANN
Foto: Joachim Gern

25.10.2019 · Was diese Mode aus den Frauen macht? Falsche Frage! Lisa D. will mit ihrer Graz-Berliner Melange die Augen öffnen für andere Frauenbilder und für seltsame Ansichten von Männern.

A nderswo hätten sie Alice vielleicht einen Superstar genannt. Supermodels waren noch nicht erfunden, als die Graz-Berliner Mode-Melange namens Lisa D. mit Kühnheit, Party- und Provokationslust, mit wachem Blick über die Szene hinaus mit der Mode zu spielen begann wie mit unseren Frauen- und Männerbildern. Und unseren Frauen- und Männerblicken.

„Klääsch. Zusammenstöße mit Kunst, Mode und anderen Disziplinen“ von Lisa D. ist im Maro-Verlag erschienen und kostet 38 Euro. Foto: Maro Verlag

Blonde Lockenmähne, ebenmäßiges Gesicht, Schwanenhals, 94-57-89 bei 1,73 Meter Körpergröße: „So viel Schönheit und Verletzlichkeit in einer Person“ hatten Lisa D. sofort ins Schwärmen gebracht. Also buchte sie Alice von Mitte der achtziger Jahre an für viele ihrer spektakulären Shows: in einer Grazer Strip-Bar, in einer Geisterbahn in Berlin, bei der Zwanzig-Jahr-Feier des deutschen „Playboy“ in München. Wobei: buchen? Alice ließ sich nicht buchen, wie man Models heute bucht, über eine Agentur. Der Schriftsteller Walter Grond hatte sie 1984 in einem Grazer Café angesprochen, so geht die Geschichte, im festen Wissen, die Studentin sei ganz nach dem Geschmack seiner Freundin Lisa, einer Modeschöpferin.

Die Geschichte lässt sich nachlesen in dem Buch „Klääsch – Zusammenstöße mit Kunst, Mode und anderen Disziplinen 1984 – 1994", das im Maro-Verlag erschienen ist und kaum Text zu bieten scheint. Erst wer die Doppelseiten mit den vielen Fotos aus zehn Jahren performativer Umtriebigkeit aufschlitzt, bekommt Alices Erinnerungen zu lesen – an Tage und Nächte mit Lisa und ihrer Entourage, an tollkühne Pläne, an die Momente der Panik vor den Schauen, die sich aus Theater, Literatur, Musik und Kunst ebenso zu nähren scheinen wie aus der Mode selbst.

Und erst wer das Buch am Ende aufschlägt, erfährt, dass es sich bei dieser Alice, der man fast 300 Seiten lang gefolgt ist, um eine Kunstfigur handelt, um einen Kunstgriff, damit sich Lisa D. nicht selbst erklären muss. Damit die um Kunstgriffe nicht verlegene Modeschöpferin das an sie herangetragene Ansinnen, ein Erinnerungsbuch zu schreiben, weder ablehnen noch erfüllen musste.

  • Verspielt: Lisa D. (Mitte) und Fiona Bennett in Rot beim Heimspiel nach dem „Playboy“-Event im Dezember 1992 in Berlin Foto: Annette Hauschild
  • Lisa D. in Lisa D. Foto: Irene Nigg

Vielleicht liegt dieses Spiel aus Erfüllen und Verwehren vielen Einfällen der Künstlerin zugrunde: in feiner Form, wenn sie, ehemals Mitglied der roten Frauenbrigade, zum Entsetzen selbst ihrer engsten Mitstreiter im September 1992 im Münchner Botanikum herausfinden will, ob Männer Spaß verstehen, beim Jubiläumsfest der deutschen Ausgabe des Männermagazins „Playboy“. Statt auf Bunnys setzt sie mit der Hut- und Modedesignerin Fiona Bennett in ihrem Garten Eden auf 20 „ausgebuffte Individualistinnen“ in eigens dafür entworfenen Kleidern, vom weißen Hosenanzug mit elegantem Ausschnitt über Tutu-Varianten bis zur schulterfreien Bondage-Draperie. In der Mitte: ein Model in einer Sanduhr, langsam freigegeben durch die verrinnende Zeit selbst. Die Aufgabe der übrigen Grazien: die männlichen Festgäste anzuziehen, um sich ihnen dann geschickt zu entziehen. Aber wie: Richtiggehend verschwinden sollten sie – und die überraschten Mannsbilder mit sich allein lassen.

Kolumbus und Man Ray hätten sich umgeschaut: Avelina Mario (r.) und Lena Braun in „Gans in Weiß“ im Dezember 1992. Hüte: Fiona Bennett Foto: Annette Hauschild

„Denn mal ehrlich“, so Lisas These, „was wollen denn Männer bei so einem Ereignis anderes, als sich gegenseitig zu beeindrucken?“ Die Sache geht aufs Schönste schief – und liest sich mehr als ein Vierteljahrhundert später, in einer Zeit, in der immer noch Bunnys für die Zeitschrift über Events stöckeln müssen, als Coup, gerade, weil sie gescheitert ist. Allein der Werbechef von Benetton, so heißt es im Buch, war begeistert: „What a blast-a! You are a natural born-a playboy-kiiilller!“ Es ist ein Glück, dass die Entwürfe für den Abend nicht nur in München den ratlosen Partygästen vorgeführt wurden, sondern ein paar Wochen später noch einmal in Berlin bei der Show „Gans in Weiß“, über einem halben Meter Daunen, vor weniger selbstbezüglichen Leuten.

Feierlich geht ein Ei von Hand zu Hand: Claudia Zölsch in „Gans in Weiß“. Zunächst ein Blickfang für die „Playboy“-Gäste: Lena Braun in schulterfreier Bondage-Draperie aus dem Jahr 1992. Hüte: Fiona Bennett Fotos: Annette Hauschild

Nicht nur das Risiko, auch der Ausrutscher, der Fehltritt hat es Lisa D. angetan: Immer wieder bittet sie bei Probe-Walks Models, sich zu merken, wenn sie wanken oder stolpern. Eine der großen Anfangsszenen des Buchs gehört einer Party Anfang 1985 in einem ehemaligen Landgasthof am Rande von Graz, deren Gäste in unmöglicher Garderobe erscheinen oder sich unmöglich benehmen sollten: „Hier waren praktisch alle Modesünden versammelt, die die Welt und die Hüter des guten Geschmacks in den nächsten Jahren reicher machen sollten.“

In einer Show im Herbst 1996, von der im Buch nicht mehr die Rede ist, hat Lisa D. ihre Models gleich über Eis laufen lassen. Ihr scharfer Blick blieb bei den Bedingungen der Vorführung von Mode nicht stehen: Strampelanzüge von H&M schneiderte sie Jahre später zu Abendkleidern um, ein bissiger Kommentar zu den Entstehungsbedingungen von Mode. Dass Lisa D. seit 2011 in Berlin das Veränderungsatelier „Bis es mir vom Leibe fällt“ betreibt, in dem nicht etwa Wegwerfstücke umgenäht werden, sondern Lieblingsstücke, von denen wir uns nicht trennen können, ist da nur konsequent.

Kleid mit spiralförmigem Reißverschluss, der in einem großen Kegel über der rechten Brust endet, zwei Jahre vor Gaultiers Corset Body für Madonna: Petra Navara in der Schau „Wo tanzt die Gans“ im Oktober 1988 Foto: Karin Schabhüttl

Ein feiner Streich mit dem Handschuh war die paradiesische Provokation des Münchner Fests im Herbst 1992 für den männlichen Voyeurismus, deutlicher zu spüren war der Schlag bei Kleidern wie der Corsage aus der Show„Servus Kaiser“, bei der ausgestopfte grüne Hände aus den Brüsten zu wachsen scheinen. Überhaupt, die Kleider: in „Wo tanzt die Gans“, der Schau im Grazer Strip-Lokal „Triumph- Bar“, ist im Oktober 1988 ein dunkelgrünes kurzes Samtkleid zu sehen, von dessen Saum aus spiralförmig ein Reißverschluss aufwärts läuft, um in einem großen Kegel über der rechten Brust zu enden.

Im Juni 1990 in der Geisterbahn: Julia Bremermann mit Kordel-Applikationen zur Faustfeuerwaffe. Hut: Fiona Bennett Foto: Joachim Gern
Tarnfleck in der Geisterbahn: Jackie Cronimund in einem Kostüm für die Berliner Schau im Juni 1990. Hut: Fiona Bennett Foto: Joachim Gern

Im Sommer 1990 wird das Publikum in Berlin in die Wagen einer Geisterbahn gesetzt und an einer Reihe von Tableaux vivants vorbeigefahren, in denen ein zum Rock mutierter Fellmantel zu sehen ist, aus dessen Ärmel auf Hüfthöhe ein weiteres paar Hände wächst. Ein Model trägt einen silbergrauen Body mit Kordel-Applikationen zur Faustfeuerwaffe, eines zum knallroten Unterteil und Straußenfedern nichts als tierisches Tarnfleck auf der Haut. Mit Gold und Glitzer, mit Engelsflügeln, Pelz und Plüsch holt Lisa D. ein Strahlen ins Halbdunkel der Geisterbahn, das von einem Model jäh gebrochen wird, das sich lasziv auf einer Kloschüssel räkelt. Man könnte die Fotos dieser Show mit Ausführungen über camp und queer garnieren. „Klääsch“ erzählt stattdessen von Manni Mattschke, dem Besitzer der Geisterbahn, der sich um sein Geld sorgt und sich nur mühsam beruhigen lässt.

Was diese Mode aus den Frauen macht? Nichts! Weil es umgekehrt Frauen sind, die etwas aus dieser Mode machen, wenn sie die nicht straßentauglichen Entwürfe für die Schauen mit Leben füllen, und sogar alle, die Kleider der Modeschöpferin tragen: Selbstbewusstsein gehört dazu, Humor, ein Gefühl für die ganz eigene Schönheit, die niemand sonst ausstellen, angaffen oder bewerten darf. Eine Art weiblicher Komplizenschaft ist dieser Mode eigen, ein Schmäh, der Grenzen zeigt, indem er mit ihnen spielt.

Was diese Mode aus den Männern macht, zeigt die letzte Schau, von der „Klääsch“ erzählt: In „Siegfrieds Lust – Tarnung und Täuschung“ lässt Lisa D. im November 1994 Männer ihre Entwürfe in der Berliner Bar jeder Vernunft vorführen. Otto Sander, Wolfgang Flatz, Rolf Zacher und Wotan Wilke Möhring sind unter den Models. „Ich finde“, lässt Lisa D. ihre Erzählerin Alice schreiben, „all diese zerknautschten Helden und abenteuerlichen Spinner, diese durchschaubaren Angeber und liebenswerten Gossenprinzen, kurzum, all diese flauschig-beknackten männlichen Geschöpfe, die sonst nur in der Literatur oder im Kopf mancher Frauen existieren, sie alle sind in dieser Show tatsächlich für einen magischen Moment lang Wirklichkeit geworden.“

Nicht nur Siegfrieds Lust: Wolfgang Flatz (l.) trägt Chaps, Joachim Gern (r.) kann sich die Ärmel aussuchen. Foto: François Cadière











Quelle: Frankfurter Allgemeine Magazin

Veröffentlicht: 25.10.2019 15:27 Uhr