Joachim Fests Memoiren : Auch wenn alle mitmachen - ich nicht
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Innenansicht einer oppositionellen Familie: Joachim Fest Bild: picture-alliance / dpa/dpaweb
Es ist nach Günter Grass' Memoiren das zweite mit Spannung erwartete Erinnerungsbuch des Jahres: Joachim Fests „Ich nicht“, im Feuilleton der F.A.Z. vorabgedruckt. Eine Einführung.
Die vielleicht aussagekräftigste Episode dieses an vielsagenden, denkwürdigen Episoden, Unterhaltungen und Ereignissen so reichen Buches liegt siebzig Jahre zurück. Anfang 1936 - der Verfasser ist gerade neun Jahre alt - belauschen sein Bruder Wolfgang und er eine seltene Auseinandersetzung zwischen den Eltern. Der Vater war bereits vor einiger Zeit vom Schuldienst suspendiert worden, selbst das Erteilen von Nachhilfestunden hatte man ihm untersagt: Unliebsame Kritiker erkannte das Regime sofort. Die Familie war in dieser Notlage enger zusammengerückt in der Wohnung in Berlin-Karlshorst, es gab kein Kindermädchen mehr, und zum Zeitpunkt des abendlichen Gesprächs war die Mutter im Begriff, die bereits mehrfach geflickten Sachen der Kinder erneut in Ordnung zu bringen.
Behutsam schildert der sich erinnernde Sohn den Verlauf der Unterhaltung. Die Mutter fragt den Vater zögerlich, ob er nicht doch noch überlegen wolle, in die Partei einzutreten, „und um das Ende ihres Vorbringens anzudeuten, setzte sie nach längerem Innehalten ein einfaches ,Bitte!' hinzu“. Der Vater nimmt sich Zeit für seine Antwort. „Er sagte etwas über die Umstellungen, zu denen sie, wie viele andere, genötigt seien. Über die Gewohnheit, die nach zumeist schwierigen Anfängen einigen Halt vermittle. Über das Gewissen, das Vertrauen in Gott.“ Die Mutter, die sich ohnehin bereits weiter vorgewagt hat, als es sonst ihre Art ist, bleibt hartnäckig und bemerkt, „daß ein Parteieintritt doch nichts ändere: ,Wir bleiben schließlich, wer wir sind!' Ohne langes Nachdenken erwiderte mein Vater: ,Das gerade nicht! Es würde alles ändern!'“
Die Familie als verschworene Gemeinschaft
Warum sich dem Knaben, der Joachim Fest damals war, dieser Disput so unauslöschlich eingeprägt hat, wird im weiteren Verlauf des Gesprächs deutlich. Die Mutter sagt, die Heuchelei, die der Parteieintritt bedeuten müßte, nähme sie in Kauf: „Die Unwahrheit sei immer das Mittel der kleinen Leute gegen die Mächtigen gewesen; nichts anderes habe sie im Sinn. Das Leben, das sie führe, sei so entsetzlich enttäuschend! Nun schien die Überraschung auf seiten meines Vaters. Jedenfalls sagte er einfach: ,Wir sind keine kleinen Leute. Nicht in solchen Fragen!'“
Die Skrupel, Zweifel und Gewissensfragen, mit denen sich der von den Nationalsozialisten zur Tatenlosigkeit verdammte Vater von fünf Kindern ständig auseinandersetzte, dürften exemplarisch sein für viele Deutsche, die sich nach 1933 vor die Wahl zwischen Armut, Ächtung, ständiger Wachsamkeit und Repressalien oder der Anpassung und dem Mitläufertum als vermeintlich kleinerem Übel gestellt sahen. In der Konsequenz, mit der Johannes Fest sich ihnen stellte, für seine Überzeugungen rhetorisch kämpfte und seine Familie zum Hinschauen aufforderte, wirken sie indes einzigartig. Es fällt Joachim Fest nicht ein, seinen Vater zum Helden zu stilisieren - daß dessen unerschrockene Art, dem Regime zu begegnen, alles andere als selbstverständlich war, mag man indes auch den Erinnerungen von Hubertus Prinz zu Löwenstein entnehmen, der in „Abenteurer der Freiheit“ schrieb, Hans Fest habe „zu den mutigsten katholischen Widerstandskämpfern“ gehört, die ihm überhaupt begegnet seien. Die Familie Fest bildete eine verschworene Gemeinschaft, was zumal den Söhnen an jenem Abend deutlich wurde, als der Vater ihnen den Satz „Etiam si omnes - ego non“ aus der Ölberg-Szene im Matthäus-Evangelium mit auf den Weg gab, den Joachim Fest nun im Titel wieder aufgreift.