Lebenslauf eines Stimmenimitators
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Der Mann mit Pfeife: Jacob Taubes zwischen Herbert Marcuse (rechts) und Richard Löwenthal im Sommer 1967 bei einer Diskussion an der FU Berlin Bild: ullstein bild - Jung
Jacob Taubes faszinierte die Umdeutung des Christentums und mit der Wahrheit stand er in lockerem Kontakt: Jerry Z. Muller hat eine Biographie über den schillernden Religionsphilosophen geschrieben.
Über den Religionsphilosophen Jacob Taubes sind Zeit seines Lebens von denen, die ihn kannten, scharfe Urteile gefällt worden. Die vorliegende Biographie zählt sie alle auf, sie berichtet von einem dubiosen Leben. Schon an dem hochbegabten Spross einer jüdischen Rabbiner- und Gelehrtenfamilie, der 1923 in Wien geboren wurde und dessen Eltern 1936 nach Zürich umzogen, nahmen die Zeitgenossen fragwürdige Züge wahr. Er galt als arrogant und quirlig, ideenreich und quecksilbrig, faul und prahlerisch, „brillant, pervers, dämonisch, manipulativ“, wie es an einer Stelle heißt. Er verbreite „prätentiösen Unsinn“ (Joseph Agassi), neige zu „philosophischen Ludereien“ (Gershom Scholem), sei von „schamlosem Ehrgeiz“ (Leo Strauss) getrieben. Einerseits war Taubes belesen und kannte immer alles, wusste zu allem etwas zu sagen, andererseits hielt er auch spontan Reden über Philosophen, die man eigens für ihn erfunden hatte, um ihn mit seinem prätendierten Alleskennertum hereinzulegen.
Mit der Wahrheit stand Taubes in lockerem Kontakt. Er bluffte gern und gab fremde Gedanken oft als die eigenen aus. Von dem einzigen Buch, das er mit dreiundzwanzig geschrieben hatte, hat er später behauptet, existiere eine Langversion, die aber nie aufgetaucht ist. So wenig, wie es die beiden Bücher gab, die er in einem Bewerbungsschreiben 1954 als „im Erscheinen“ ankündigte. In New York hält er in dieser Zeit Vorträge, die auf Texten beruhen, die andere in Jerusalem geschrieben haben. Er spricht von einem 150-seitigen Manuskript über die Politische Theologie des Maimonides, das aber nie jemand gesehen hat. Je älter er wurde, desto jünger machte er sich in Lebensläufen, um das Wunderkind zu konservieren. Im privaten Umgang war er ein Indiskretin. Für das eigene Fortkommen war er zu jeder Niedertracht bereit. Später, als er Professor in Berlin war, bekam er dort den Spitznamen „Jakob der Lügner“. Der Gräzist Jean Bollack nannte ihn aufgrund seiner Erfahrungen mit dem hochschulpolitischen Intriganten Taubes „die Inkarnation des Bösen“.
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