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Imran Ayata : Verschwende deine Jügünd

Imran Ayata gewährt in seinem Buch einen Einblick auf Augenhöhe

Imran Ayata gewährt in seinem Buch einen Einblick auf Augenhöhe Bild: Christian Thiel

Der Schriftsteller Imran Ayata tanzt in Kreuzberg und schreibt in Berlin-Mitte. Nun besteigt er den „Hürriyet Love Express“ und erzählt auf seiner Reise „Periphere Geschichten aus der Großstadt“.

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          Vor kurzem hat sich Imran Ayata endlich auch so ein Ding gekauft, so eine Box, die man auf den Fernseher stellt, um Sendungen zu empfangen, die man in Deutschland sonst nicht empfangen kann. Davor hatte sich Ayata die Spiele seines Fußballclubs in türkischen Männercafes angeschaut, aber immer öfter passierte es, daß die entscheidenden Dinge verlorengingen, auf dem langen Weg von Mitte nach Kreuzberg, die ersten Minuten, die ersten Tore von Galatasaray.

          Harald Staun
          Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

          „Für den Notfall“, sagt Ayata, hat er jetzt auch zu Hause Zugang zum türkischen Pay-TV. Tatsächlich hat Ayata damit nur einen Decoder mit einem anderen getauscht: Auch das Männercafe funktionierte für ihn immer als Schlüssel, als Zugang zu einer Welt, in der er sich weit weniger zu Hause fühlte als zum Beispiel in seinem Stammcafe am Zionskirchplatz, 157 Schritte von seiner Wohnung entfernt. Denn obwohl natürlich das eine mit dem anderen zusammenhing, hatte er mit den Männern vor dem Fernseher in der Regel nur die Liebe zu seinem Club gemeinsam, nicht das Heimweh nach dem Land, aus dem er kommt.

          Um Ulm herum

          Imran Ayata trägt ein dunkelbraunes Hemd und einen grauen Anzug an diesem Nachmittag, und daß er aus der Türkei kommt, sieht man natürlich auch an seinen schwarzen Haaren und dichten Augenbrauen, aber vor allem sieht man es an dem Gepäckaufkleber der Turkish Airlines, der an seiner Tasche hängt. Zwei Tage zuvor hat Galatasaray im Halbfinale des türkischen Pokals gespielt, und Ayata war live dabeigewesen.

          Und er ist erst am Morgen wieder gelandet in dem Land, in dem die Menschen ihn so oft fragen, wo er herkommt, daß er mittlerweile ein ganzes Sortiment an Antworten parat hat, aus dem Bauch meiner Mutter, aus Ulm, oder eben doch: aus der Türkei. Schon immer haben sie ihn das gefragt, die Mitschüler im Gymnasium in Ulm, wo er 1969 geboren wurde, die Kommilitonen in Frankfurt an der Uni, wo er Politikwissenschaften studierte, die Kunden der Kommunikationsagentur, in der er mittlerweile Geschäftsführer ist. Sie sehnten sich danach, ihn in die Rolle des Fremden zu drängen.

          Vertreter einer ganzen Kultur

          Wenn Ayata heute gelegentlich im Bundeswirtschaftsministerium sitzt, um die politischen Kampagnen zu besprechen, die seine Agentur betreut, gibt es keine skeptischen Blicke. Aber manchmal solche, die ihm zu verstehen geben, wie ungewöhnlich es doch ist, daß man es mit einem Sohn türkischer Gastarbeiter zu tun hat. Und wenn er sein neues Buch vorliest, kommt es vor, daß ihn nach der Lesung Menschen ganz besonders dafür loben, daß es auch sprachlich sehr gut sei, und sie sagen das nicht, weil Ayata in Schwaben geboren wurde.

          Die Welt von Imran Ayata war immer eine Welt der Rollen und der Repräsentationen; er war immer gleich Vertreter einer ganzen Kultur, Gemeinschaft oder Generation, aber nur als Fußballfan war er das auch freiwillig. Daß auch seine neueste Rolle eine Menge solcher Labels birgt: dagegen wird sich Ayata kaum wehren können. Gerade hat er sein erstes Buch herausgebracht, den Erzählband „Hürriyet Love Express“.

          Intellektuelle und Bohemiens

          Und natürlich ist schon dieser Titel eine Einladung dazu, die Herkunft des Autors zu thematisieren. Andererseits ist er natürlich eine Falle: Wer nämlich eine Weile mitfährt, mit diesem Expreß, dem werden die Stationen auf Ayatas Reise irgendwann überraschend wenig exotisch vorkommen, vorausgesetzt, er zieht gelegentlich in Berlin von Club zu Club. Ayatas Geschichten sind Spots aus einem Milieu, dessen Koordinaten auch den deutschen Bewohnern dieses Kiezes vertraut sind; nur die Protagonisten sind es eben nicht.

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