Neuer Roman von Heinz Strunk : Solange es solche Menschen gibt
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Hier suchte der Mörder seine Opfer aus: Der „Goldene Handschuh“ heute Bild: Lucas Wahl
Goethe will von keinem Verbrechen gehört haben, zu dem er selbst nicht auch in der Lage gewesen wäre. Heinz Strunk zeigt mit seinem Serienmörder-Roman, wie weit Einfühlung gehen kann.
Darf Literatur trostlos sein? Die Antwort ist leicht: Da sie alles soll, was sie kann, darf sie natürlich auch dies. Dass sie trostlos sein sollte, werden hingegen nicht einmal die behaupten wollen, die in Trost Kitsch wittern und finden, dass Literatur andere Aufgaben hat als Lesevergnügen. Doch wenn man ein Buch in Händen hält, das vollständig, wirklich vollständig trostlos ist, kommt man um die Frage schlecht herum, aus welchen Gründen man es jemandem anderen empfehlen soll. Anders formuliert: Kann Literatur vollkommen trostlos sein und trotzdem bedeutend?
Heinz Strunks kommende Woche bei Rowohlt erscheinender Roman „Der goldene Handschuh“ ist ein Testfall auf diese Frage. Er handelt von etwas Furchtbarem, das durch nichts kompensiert werden kann. Nicht durch Spannung, wie sie Kriminalromane und Thriller pflegen; nicht durch den Trost, dass es aufgeklärt wurde; nicht durch eine Moral, die man dem Geschehen entnehmen könnte; nicht einmal durch eine jener sozialpsychologischen Erzählungen, die uns – geteiltes Leid ist halbes Leid – beruhigen, am Entsetzlichen seien irgendwie der Kapitalismus, eine falsche Erziehung oder die bürgerliche Kälte schuld.
Strunk erzählt von einem Verbrechen ohne jeden Bedeutungsüberschuss. Der Stoff seines Romans sind Episoden aus dem Leben des Hilfsarbeiters Fritz Honka, der zwischen Dezember 1970 und Januar 1975 in Hamburg vier Frauen ermordet, anschließend zerlegt und teils weggeworfen, teils in der Abseite seiner Mansardenwohnung verstaut hat. Zu Tage kam das nicht durch Fahnder, sondern durch die Feuerwehr, die bei einem Hausbrand auf Leichenteile stieß. Wer damals ein Kind war, konnte auf den hinteren Seiten von Illustrierten, die beim Zahnarzt lagen, darüber lesen. Honka versorgte Albträume, die mitteilten, dass das Böse nicht weit weg ist, damals mit einem Bild.
Hass und Genuss am Hässlichen
In Kriminalromanen verdient man sich mit so etwas seit Längerem schon den Titel „Serienmörder“ und die Empathie von irrenärztlich informierten Rätsellösern. Doch Strunk erzählt von einer Tat, die keinen Anhalt bietet für komplizierte Motivkonstruktionen und ein angestrengtes Herumstochern im Inneren eines Täters. Denn wie soll man sich das Innere von jemandem vorstellen, der über die von ihm drangsalierte alte, zahnlose Frau denkt, wenn sie sich sturzbetrunken neben ihm durch das eiskalte Morgengrauen schleppt: „Wenn die hinfällt, lass ich sie einfach liegen.“ Für den Sex eine Form ist, andere kaputtzumachen. Für den am Willen anderer nur gut ist, dass man ihn brechen kann, und der die Hässlichkeit seiner Frauen hasst und genießt, weil er weiß, dass andere als die ganz Heruntergekommenen für ihn gar nicht erreichbar wären.
Honka, den alle „Fiete“ nennen, ist ein kleiner Mann mit eingedrücktem Gesicht, zerschlagen schon in der Kindheit. Er sitzt tag- und nachtein, nachtaus in jener von einem Ex-Boxer geführten Kaschemme „Zum Goldenen Handschuh“, die das ganze Jahr und rund um die Uhr offen hat, und trinkt und flucht und bramarbasiert und trinkt. So gut wie alle, die dort sitzen, sind schwer betankt, manche halb ohnmächtig, manche auch schon tot, andere nässen sich gerade ein. Ruinen von Menschen, kriminell, vom Fusel zerfressen. Auf einer der ersten Seiten notiert Strunk über einen solchen Insassen der Hafenkneipe, dass das Wort „sterbliche Überreste“ irrigerweise nur auf Verstorbene angewendet wird, und etwas später über die vom Leben Geprügelte: „Ihre Gleichmut erlaubt es ihr, bei lebendigem Leib zu verrotten.“ Nur Gisela von der Heilsarmee kommt ab und an wie zur Erinnerung vorbei, dass Menschen auch Personen sein können.
Strunk, dem das Stilwunder gelungen ist, ohne Kälte lakonisch zu schreiben, enthält sich jeder Erklärung: ob sie trinken, weil sie leer sind, oder leer sind, weil sie trinken. Wie sollte man es auch herausfinden? Auch zwischen Honkas Geilheit, in die sich das Bedürfnis nach Ruhe mischt, zwischen Sentimentalität – „Es geht eine Träne auf Reisen“ – und Sadismus lässt sich nicht unterscheiden, weil all das, die Geilheit wie der Traum vom Schönen, ob der Enttäuschungen, die ihm folgen, seine ekelhaften Gewaltausbrüche anheizt. Am Tiefpunkt seiner Niedertracht lässt Honka eine ihm Ausgelieferte unterschreiben, sie sei mit allem einverstanden, was er mit ihr mache, und werde von nun an keine eigene Meinung mehr äußern. Zehn Seiten später findet er aber, weil sie nicht mehr am Gespräch teilnimmt, so mache das ja auch keinen Spaß. Wille und Bosheit sind in dieser Welt dasselbe, aber Schopenhauer hätte sich nicht träumen lassen, wie es aussieht, wenn seine Philosophie wirklich wird.