Vorträge der Nobelpreisträger : Eine Rede aus zweiter Hand
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Olga Tokarczuk und Peter Handke nach ihren „Nobel Lectures“ in Stockholm. Bild: Reuters
Peter Handke zitiert in seinem Vortrag vor allem eigene und fremde Werke. Dagegen bemüht sich Olga Tokarczuk um ein neues Ideal für die Literatur, das sich an der ältesten Erzählperspektive der Welt orientiert: der der Bibel.
Am Freitag in der Pressekonferenz hatte Peter Handke noch konsequent Englisch gesprochen. Ein schreckliches Englisch, bei dem manche sich gefragt haben mochten, warum er nicht, wie angekündigt, Deutsch sprach. Eine Übersetzerin saß neben ihm, die für die internationale Presse gedolmetscht hätte, aber Handke blieb von der ersten Frage an beim Englischen – ein grandioser Trick natürlich, denn so würde er später etwaige Ärgernisse mit mangelnder Sprachbeherrschung erklären können, wie er es früher schon getan hatte, wenn er Aussagen aus Interviews, die mit ihm etwa auf Spanisch oder Serbisch geführt worden waren, nachträglich beschönigen wollte. Und so wird es Handke denn wohl auch mit seinem unappetitlichen gestrigen Fäkalvergleich halten, bei dem er unliebsame Fragesteller mit benutztem Toilettenpapier verglich (zu deren Nachteil). Eines Literaturnobelpreisträgers war das trotzdem unwürdig.
Heute war also etwas gutzumachen, denn im durchgetakteten Programm der Nobelpreiswoche in Stockholm standen die „Nobel Lectures“ der beiden Literaturpreisträger an, wieder im großen Saal der Schwedischen Akademie. Und Handke sprach Deutsch, aber auch Slowenisch und Schwedisch. Ein schreckliches Schwedisch und das bei einem Gedicht von Tomas Tranströmer, dem Nobelpreisträger von 2011, aber der österreichische Nachfolger hatte das Stockholmer Publikum gewarnt. Es belohnte ihn mit Applaus, aber die Gedichtrezitation von „Romanska bagar“ (Romanische Bögen) stand ja auch am Ende der Nobelpreisrede, und die Ratlosigkeit der Zuhörer war auch daran zu merken, dass der Schlussbeifall schwächer ausfiel als der Begrüßungsapplaus. Bei Olga Tokarczuk war das zuvor anders herum.
Den Schluss offen gelassen
Presse ist nicht zugelassen bei den „Nobel Lectures“ im Festsaal der Schwedischen Akademie, aber die Vorträge von Olga Tokarczuk und Peter Handke wurden live gestreamt. Wieder machte die polnische Schriftstellerin als frühere Preisträgerin (fürs Jahr 2018, in dem ja durch interne Skandalgeschichten in der Akademie die Preisvergabe ausgesetzt worden war) den Anfang, und nach ihren unerwartet langen sechzig Minuten kam dann Handke an die Reihe.
Am Vortag hatte er berichtet, dass er während seiner Tage in Stockholm (heute war es der vierte) noch kein einziges Wort geschrieben hätte; nur eine Zeichnung habe er im Notizbuch angefertigt: nach einer Rembrandt-Graphik zum Verlorenen Sohn, die er im Nationalmuseum gesehen hatte. Ob ihn das Thema der Vergebung in dieser biblischen Geschichte so faszinierte? Hatte Handke doch vor zwei Wochen noch vollmundig angekündigt, dass er sich in Stockholm „auch stellen“ wolle, und wozu hätte das taugen sollen, wenn nicht zumindest zum Versuch einer Aussöhnung mit seinen Kritikern?
Dazu jedoch hatte die Verweigerungshaltung am Vortag in der Pressekonferenz schlecht gepasst, und dass Handke nun etwas davon korrigieren würde, war nicht zu erwarten, denn seine Rede war längst geschrieben; die Schwedische Akademie hatte sie sich von beiden Preisträgern bereits Anfang November abliefern lassen, um sie in Ruhe ins Englische und Schwedische übersetzen zu lassen. Doch eine Sache hatte Handke offen gelassen: den Schluss, die Rezitation des Tranströmer-Gedichts. Zuvor brach das Manuskript ab.
Große Unterschiede und kleine Gemeinsamkeiten
Die Rede, dreißig Minuten kurz, bestand zum größeren Teil aus Zitaten: einem besonders langen aus Handkes 1981 erschienenen Buch „Über die Dörfer“, ausgewiesen als „dramatisches Gedicht“, dann aus einigen Fürbitten der Lauretanischen Litanei auf Slowenisch, einer katholischen Anrufung der Muttergottes, deren Rhythmus Handke zur Grundlage seines Schreibens erklärte: „Die frühesten Schwingungen oder Schwungkräfte kamen freilich nicht von den Künsten, sondern bewegten und durchdrangen das Kind, das ich war, mit den slowenisch-slawischen religiösen Litaneien unter den romanischen Bögen der Kirche nah dem Geburtsort Stara Vas.“ Und schließlich Tranströmers „Romanische Bögen“, eine Hommage an die Literatur des Gastgeberlandes. Trotzdem war die Irritation im Saal mit Händen zu greifen.