Grégoire Chamayous neues Buch : Die Gegenrevolution
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Denen ging es zu gut – amerikanische Demonstranten in den Siebzigern Bild: Picture-Alliance
Wie der autoritäre Liberalismus der siebziger Jahre uns besiegte, zeigt der französische Philosoph Grégoire Chamayou in seinem neuen Buch „Die unregierbare Gesellschaft“.
Massenbeschäftigung sei keine politisch tragfähige Option, schrieb zu Beginn der siebziger Jahre ein amerikanischer Wirtschaftskolumnist. Und fügte hinzu: „Was dieses Land braucht, um diese Bande von Taugenichtsen zur Räson zu bringen, ist eine ordentliche Depression.“ Die „Taugenichtse“, das waren die amerikanischen Arbeiter, und die Situation war dadurch gekennzeichnet, dass auf dem Arbeitsmarkt nahezu Vollbeschäftigung herrschte. So offen allerdings konnte der Kolumnist nur sprechen, weil er nicht unter seinem Klarnamen schrieb. Er nannte sich Adam Smith, nach dem Begründer der klassischen Nationalökonomie, hatte aber ein etwas anderes Anliegen. Während es dem ersten Adam Smith um den „Wohlstand der Nationen“ gegangen war, sang der zweite Smith ein anderes Lied. In seinem 1972 unter dem Titel „Supermoney“ erschienenen Buch ging es vor allem darum, dass es den Leuten zu gut ging.
Er musste feststellen, dass die „allgemeine Opferbereitschaft“ sich auflöste. Von Verzicht sei keine Rede mehr. Der zweite Smith bediente sich dabei noch eines relativ leicht zu durchschauenden rhetorischen Tricks. Er tat so, als spräche er über alle, er meinte aber nur die abhängig Beschäftigten. Die nämlich hatte der Wohlfahrtsstaat in einen disziplinlosen Haufen verwandelt, der nichts anderes zu tun hatte, als die notwendige Autorität von kleinen und großen Chefs in allen möglichen Unternehmen zu untergraben, um womöglich diese Betriebe auch noch in Selbstverwaltung zu übernehmen.
Und dagegen, so Smith, helfe nur eine ökonomische Krise, die, wenn sie der naturwüchsige Verlauf des Kapitalismus nicht liefere, man auch künstlich herbeiführen könne. Das hatte die Regierung von Präsident Richard Nixon zwischen 1969 und 1970 auch schon getan, indem sie eine kurze Rezession provozierte, um die Wirtschaft abzukühlen, wie es hieß. Der zweite Smith plädierte nun in seinen Kolumnen für mehr von dieser Politik, um den Beschäftigten wieder den nötigen Gehorsam in den Betrieben beizubringen.
Der 1976 geborene und in Lyon am „Centre national de la recherche scientifique“ (CNRS) arbeitende Philosoph Grégoire Chamayou nimmt diese Situation zu Beginn der siebziger Jahre als Ausgangspunkt für sein Buch „Die unregierbare Gesellschaft“, das im Untertitel „eine Genealogie des autoritären Liberalismus“ ankündigt. Chamayou, der durch seine Pionierarbeit zur „Theorie der Drohne“ international bekannt geworden ist, geht es nicht um einen neue Ideengeschichte des Liberalismus. Die Krisensituation von damals ist Anlass, eine „Geschichte von oben“ zu schreiben. Eine Geschichte, die Wahrnehmungen und Texte derer ernst nimmt, die sich bemühten, die Interessen der „Wirtschaft“ zu verteidigen. Und die Interessen der Wirtschaft sahen deren Verteidiger vor allem durch die breiten Demokratiesierungstendenzen in den entwickelten westlichen Ländern in Gefahr. Die „private Regierung“ in den Unternehmen schien kurz davor, ihre Autonomie im Trubel immer neuer Forderungen der Regierten, der Arbeiter, zu verlieren, was die freie Marktwirtschaft in ihrem Kern gefährdete.