Verstofflichung eines Zeitlosen
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Mit Hildesheimerwassern gewaschen: Gabriele Weingartner setzt ihren Romanzyklus über den nun nicht mehr unsterblichen Léon Saint Clair fort.
Vor drei Jahren hat Gabriele Weingartner mit „Leon Saint Clairs zeitlose Unruhe“ ihr bisheriges Opus magnum vorgelegt, die Geschichte eines zwischen 1780 und 1782 geborenen Helden, der offenbar unsterblich ist und den wir deshalb auf einem – keineswegs linear erzählten – Parforceritt durch knapp 250 Jahre meist europäischer Geschichte begleiten konnten: Ancien Régime und Französische Revolution, das Wien der Mozartzeit, Bangkok 1923 inklusive einer Begegnung mit Somerset Maugham, Moskau auf dem Höhepunkt der stalinistischen Schauprozesse und das Berlin zur Zeit der Napoleonischen Kriege, aber auch der Sechzigerjahre und schließlich als bundesdeutsche Hauptstadt. Der etwas kleinwüchsige Leon – seine Größe bleibt über die Jahrhunderte die eines etwa Vierzehnjährigen – nimmt am Ende des Romans zusammen mit einer Mitarbeiterin einer Schweizer Sterbehilfeorganisation, die den Namen Heidi trägt, den Zug von Berlin nach Basel. Nach der Ankunft entwischt er jedoch seinem „Todesengel“ und landet schließlich in einem Luxushotel in Chur.
Und dort hält er sich am Beginn und bis beinahe zum Ende des neuen Romans noch immer auf, ein Faktum, das allein schon deshalb bemerkenswert ist, weil Sesshaftigkeit bis dato überhaupt nicht zu Leons Lebensform gehörte, sondern er zwangsläufig immer Abschied nehmen musste. Der Unsterbliche kann nichts und niemanden festhalten und nirgendwo ankommen. Auch wenn Weingartner die Legende von Ahasver, dem Ewigen Juden, an keiner Stelle erwähnt, ist ihr Held bis zu diesem Zeitpunkt dessen Wiedergänger.
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