Frankfurter Anthologie : Jorge Luis Borges: „An die deutsche Sprache“
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Bild: F.A.Z.
In diesem Gedicht wird die deutsche Sprache einmal nicht als hart und unerlernbar charakterisiert. Der Weltbürger Borges nennt sie sogar „milde“ - und flechtet ihr einen Kranz.
Wohlgefallen drückt es aus, glücklich macht es den Leser: das spanische Adjektiv „dulce“, das Gisbert Haefs mit „milde“ wiedergibt; andere Übersetzungen wagen sogar ein „süß“. Kennzeichnen soll es die „Sprache Deutschlands“, und das ist eine selten erfahrene Freude. Gewöhnlich wird ja nur über die Zumutungen ihrer Grammatik geklagt oder ihr Klang verspottet, siehe Voltaire, siehe Mark Twain.
Anders der Weltbürger Jorge Luis Borges, der 1972 dieses Bekenntnis einer lebenslangen Zuneigung veröffentlichte. Sie beginnt, als der Fünfzehnjährige 1914 mit den Eltern für ein paar Jahre von Buenos Aires nach Genf übersiedelt, wo er ein frankophones Gymnasium besucht. In Europa wütet der Erste Weltkrieg, Deutsch wird für Unzählige zum Idiom des Feindes. Die Nächte dem Erlernen dieser widerspenstigen Sprache zu widmen, ist ein Abenteuer gegen die Zeit, „selbst erwählt und ganz allein gesucht“.
Heinrich Heine zuliebe
Als Sohn einer wohlhabenden Familie, die der Literatur leidenschaftlich ergeben ist, wächst Borges zweisprachig auf: Da die Eltern britische Wurzeln haben, wird zuhause neben Spanisch auch Englisch gesprochen, so dass schon das Kind ein Gespür für dessen „intimere Musik“ entwickelt. Dennoch bezeichnet der Erwachsene nur das Kastilische, die spanische Hochsprache, als sein Schicksal, da sie die Heimat seines Schreibens ist. Francisco de Quevedo, Satiriker, Dichter und Erzähler, glänzte im siebzehnten Jahrhundert als einer ihrer ersten Sterne; seine Prosa, seine Verse überdauern die Zeit wie Bronze, das Metall der Denkmäler.
Zu dessen Härte bilden die „milden“ Laute des Deutschen den Kontrast. Wie geschaffen scheinen sie für das „Raunen von Wäldern und von Nächten“, für unruhiges Schweifen und dunkle Geheimnisse. Dass den Erzähler des Alephs und der labyrinthischen Bibliothek von Babel diese Sprache fasziniert, leuchtet ein. Mit einem ebenso genauen wie emotionalen Bild wird jene Eigenheit hervorgehoben, die ihren kreativen Gebrauch stimuliert: die „verflochtenen Liebschaften zusammengesetzter Wörter“. Jeder Sprecher, jeder Schreibende kann ja vorhandene Wörter neu und nahtlos zusammenfügen, indem er sie wie Liebende vereint, von „Sockenmangel“ über „Herzenstrost“ bis zu Goethes leicht wahnsinnigem „Knabenmorgenblütenträume“.
Die aufgezählten Autoren stehen eigentlich eher für Tages Helle als für Raunen, Zwielicht und Dämmerschein. Der deutschsprachige Leser erwartet eher E.T.A. Hoffmann oder Novalis, doch Borges’ lebenslanger Favorit bleibt Heinrich Heine. Um seine Verse im Original zu lesen, lernte der junge Argentinier Deutsch. Dreiundachtzigjährig und seit Jahrzehnten blind, macht er sich noch einmal nach Europa auf, gewährt in Frankfurt Marcel Reich-Ranicki ein Interview und nennt als eines seiner Reiseziele Düsseldorf, da er endlich das Geburtshaus „dieses herrlichen Dichters“ besuchen möchte. Reich-Ranicki fragt sich im Stillen, was ein Blinder von einem solchen Besuch haben kann außer dem „Bewusstsein, im Hause Heines zu sein. Aber ist das zu wenig?“
Goethe, der Unvergleichliche, wird mit einem diffusen Zweizeiler gewürdigt, Gottfried Keller dagegen mit einer ausführlichen Reminiszenz an seine Schauerballade „Lebendig begraben“. Immerhin, die Nähe zum Sentimentalen, die der marmorne Stilist Borges damit offenbart, weckt Sympathie, und das melancholische Zitat der Rose, deren Farbe dem eingesargten Liebenden verborgen bleibt, könnte aus seinen eigenen Werken stammen.
Es leitet über zur Coda aus Vergessen, Blindheit und Nacht. Ihr Ton ist resigniert, doch gelassen. So fern (und für Borges unsichtbar) der Mond auch sein mag, er existiert und der Dichter hat ihn „gehabt“. In der wenige Jahre zuvor geschriebenen Meditation „Ein Leser“, die von der Lektüre Vergils ausgeht, heißt es: „das Lateinische gewusst und vergessen zu haben/ ist ein Besitz, denn das Vergessen/ ist eine der Formen der Erinnerung, sein vages Kellergelaß,/ die verborgene Kehrseite der Münze.“ Gleiches gilt für die „milde Sprache Deutschlands“: Mag sie auch dem Gedächtnis im Alter entgleiten, sie zu rühmen ist immer noch eine Lust.
Jorge Luis Borges: „An die deutsche Sprache“ / „Al idioma alemán“
Mein Schicksal ist die kastilische Sprache,
die Bronze des Francisco de Quevedo,
doch in der sacht schreitenden Nacht begeistern
mich andere, intimere Musiken.
Die eine wurde mir vom Blut gegeben –
o Stimme Shakespeares und der Heiligen Schrift –,
andre vom Zufall, der freigebig ist,
dich aber, milde Sprache Deutschlands, habe
ich selbst erwählt und ganz allein gesucht.
Durch Nachtwachen und durch Grammatiken,
durch den Dschungel der Deklinationen,
durchs Wörterbuch, das niemals die genaue
Nuance liefert, hab ich mich genähert.
Voll von Vergil sind meine Nächte, hab ich
einmal gesagt; ich hätt auch sagen können,
voll Hölderlin und Angelus Silesius.
Heine gab mir die hohen Nachtigallen,
Goethe gab mir das Glück von später Liebe,
die nachsichtig und dabei käuflich ist;
Keller die Rose, die eine Hand läßt
in der Hand eines Toten, der sie liebte
und nie wissen wird, ob sie weiß, ob rot ist.
Du, Sprache Deutschlands, bist dein größtes Werk:
die verflochtenen Liebschaften zusammen-
gesetzter Wörter, offene Vokale
und Laute, die noch den beflissenen
Hexameter des Griechen möglich machen,
und dein Raunen von Wäldern und von Nächten.
Einmal besaß ich dich. Heut, an der Grenze
der müden Jahre, kann ich dich noch ahnen,
so fern wie die Algebra und der Mond.
Aus dem Spanischen von Gisbert Haefs.
***
Mi destino es la lingua castellana,
El bronce de Francesco de Quevodo,
Pero en la lenta noche caminada
Me exaltan otras músicas más íntimas.
Alguna me fue dada por la sangre –
Oh voz de Shakespeare y de la Escritura -,
Otras por el azar, que es dadivoso,
Pero a ti, dulce lengua de Alemania,
Te he elegido y buscado, solitario.
A través de vigilias gramáticas,
De la jungla de las declinaciones,
Del diccionorio, que no acierta nunca
Con el matiz preciso, fui acercándome.
Mis noches están llenas de Virgilio,
Dije una vez; también pude haber dicho
De Hölderlin y de Angelus Silesius.
Heine me dio sus altos ruiseñores;
Goethe, la suerte de un amor tardío,
A la vez indulgente y mercenario;
Keller, la rosa que una mano deja
En la mano de un muerto que la amaba
Y que nunca sabrá si es blanca o roja.
Tú, lengua de Alemania, eres tu obra
Capital: el amor entrelazado
De las voces compuestas, las vocales
Abiertas, los sonidos que permiten
El estudioso hexámetro del griego
Y tu rumor de selvas y de noches.
Te tuve alguna vez. Hoy, en la linde
De los años cansados, te diviso
Lejano como el álgebra y la luna.