Frankfurter Anthologie : Ulrich Zieger: „Gesöff“
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In diesem Sommer verstarb der Schriftsteller Ulrich Zieger im französischen Montpellier. Wenige Tage vor seinem Tod entstand sein letztes Gedicht, das hier erstmals veröffentlicht wird. Zugleich antwortet der Lyriker Uwe Kolbe darauf.
Ich muss mit Ihrem letzten Gedicht sprechen. Die von den Wörtern sind, sollten sich zusammensetzen auf ein Getränk. Es gibt da offene Fragen. Das Gedicht ist sehr frisch, Sie haben es schnell aus der Hand gegeben. Lektoriert wurde nichts mehr. Dazu war es zu spät. Das Gedicht spricht nun von Ihnen, davon, wie Sie vom Ende her geschaut haben auf das, was war. Neben Namen und Geburtsjahr, neben der schönen Erfindung, es gäbe ein Double der heiligen Stadt der Trinker, ein Dublin in Sachsen, identisch mit dem Döbeln Ihrer Herkunft, lesen wir: „Lebt noch.“ Eine Woche später war das nicht mehr wahr.
Haben Sie in der kürzeren Hälfte Ihres Lebens, an Ihrem Hauptwohnsitz Montpellier, eigentlich dem Pastis zugesprochen oder dem Wein, oder waren Sie abstinent? Der Titel des Gedichts schließt Letzteres aus. So kolloquial redet einer, der sich auskennt. Nehmen wir zum Gesöff klares Wasser mit einem Spritzer Zitrone. Das wird dem Lungenfisch guttun. Er wird etwas spüren davon in seinem Schlamm und sich regen. Den zwiefach Atmenden kennen Sie aus dem Aquarium? Und er taugt Ihnen zum Bild einer poetischen Existenz, Sie haben ihr eigenes Spiegelbild sich überlagern sehen mit seiner Ruhe? Nicht schlecht, auf beiderlei Art atmen zu können! Interessant, als Zwischenglied der Evolution auszuharren. Gewisse Fähigkeiten und Eigenschaften zu behalten, bereitzuhalten und bereitzustellen, das ist wichtig, falls etwas schiefgeht hier oben oder dort unten.
Was die erste Strophe vom Leben sagt und zurücknimmt, was in der zweiten vom menschlichen Gespräch gesagt ist, klingt wie das Behaupten des Anspruchs gegen die unübersehbar ungünstige Entwicklung. Ihr Gedicht geht davon aus, dass es hier oben längst schiefgegangen ist: Das wenige, was zu sagen ist, das nicht von Liebe geht, bei dem hockt schon der Abteilungsleiter in den Sätzen und alles, was man bei dieser Figur denken mag. Dass wir „längst“ aufgelegt hätten, kann ich nur fiktiv und sarkastisch lesen. Wer hätte denn aufgelegt? Sie selbst, das ist leider wahr. Zu den Muscheln muss ich nichts sagen. Da taucht das Gedicht nach einem schwachen Witz. Vorher aber ist die Rede von den Angebern, „die uns entsetzen“. Das lese ich als alltägliches Scheitern des Gesprächs. Den Alltag trüge sonst das gute, das lange, das gültige Gespräch miteinander, darin „manchmal sehr viel“ zu sagen ist. An dem frisst der Jargon, die große Beliebigkeit. Den Worten wird die Potenz genommen von den Abteilungsleitern und anderen. Das gehört vor Gericht.
Im Gedicht geben Sie, Ulrich Zieger, den Fall weiter an die oberste Instanz: „Gott helfe ihnen balde“, sonst ist es vorbei! Sie zitieren da Goethe, lassen ihn drei Verse später namentlich auftreten und den anderen Dichterphilosophen, doch nur an dem Ort, an dem die Blöden die beiden vermuten. An dem trivialen Ort des unachtsamen Geredes, nehme ich an. Verächtlicher Blick ins Rund, auf die Menschengemeinschaft? Sie lassen den Fisch aus der Tiefe sprechen, de profundis.
Er, der Solitär, dessen Bild sich mit dem des Dichters überlagert, wird nicht wiederkehren. Auch Bücher werden, so geht der Befund weiter, nicht mehr gerettet. Und zwischen Mann und Frau – there ist a war, der wird beendet von solchen, die mehr als nur den ersten Stein werfen, von solchen, die das gründlich machen. Das ging rasch. Wir sind schon bei der letzten Strophe. Da steht es lapidar: „So geht die Welt...“, dabei tut sie es „in sternförmigen Kreisen“. Ist das etwa der tröstliche Gedanke von den Harmonien, dem Zusammenklang in der Welt? Sehe ich da die Himmelsschalen des alten Weltbilds und den „Stern des Bundes“ zusammen leuchten in Ihrem Bild, somit wieder das Wort, wieder die Poesie mit ihrem Anspruch ohne Verlegenheit? Zur nächsten Zeile ist es schon wieder gebrochen in „einer Gesinnung der nichts Substantielles erwächst“.
Das ist sehr schade, lieber Ulrich Zieger. Das Gedicht stottert aber nicht. Sie treten da nur auf mit der Behauptung klingender Knochen, die „schlottern“ bei uns allen. Abgelehnt! Gerade die holde Zweiflerin wird das ganz anders sehen, diese gute Bekannte. Die Leser und Leserinnen Ihres Gedichts können deren Auftritt gut und gerne persönlich nehmen, jede und jeder einzeln. Diese Zweiflerin ist die immer angesprochene Gestalt gegenüber, die Hörende. Weshalb ich Sie auch nicht entlassen kann mit dem Auftakt: „Doch...“ Wenn es kein Lapsus ist, ist es gemein. Da bekommt das Gesöff, wo es zur Neige geht, eine Wirkung, der sich entzieht, wer kann. Sie konnten das wohl meistens, Sie mit Ihrer zurückgezogenen Art, Sie, wie ich fand, wenn wir uns früher sahen, ruhiger, sanfter Mensch Sie, Ulrich Zieger. Und doch müssen Sie es zum Schluss auf diese Art reimen und bringen das Gesöff zur Neige mit einem verbotenen Grinsen. Es dringt ein Klageton herauf. Entziehe sich, wer kann.
Ulrich Ziegler: „Gesöff“
Der Lungenfisch spricht aus der Tiefe
Zuwendung und Anregung bilden das Leben
Wenn man die Kindlein wirklich kommen lassen könnte
Würde bei Ausfall der Elektrizität und im Internet
Keine brennende Meute sich bilden und plündern
Wir haben einander nicht oft viel zu sagen
Und manchmal sehr viel doch das handelt von Liebe
Sonst handelt es nur vom Abteilungsleiter und seiner Gier
Und von anderen Angebern die uns entsetzen
Da legten wir aber längst auf an den Muscheln
Gott helfe ihnen balde sonst drohet uns die Halde
Anstatt einander zuzuwenden wenden sie sich ab
Und starren beharrlich ins Nichts
Wo sie Goethe vermuten und Nietzsche
Und eigentlich nur ihre eigene Blödheit auf Dauer
Der Lungenfisch spricht aus der Tiefe
Aus der er nicht wieder zurückkehrt
Im nächsten Jahrtausend
Der Mann der die Bücher gerettet hat wurde verjagt
Und die Frau die den Mann begriff wurde gesteinigt
So geht die Welt in sternförmigen Kreisen
Und einer Gesinnung der nichts Substantielles erwächst
Was tun wir denn da holde Zweiflerin
Auch ich kann das im Grunde nur noch stottern
Doch sehe ich bei Tag und Nacht wie uns die Knochen
Schlottern.
Ulrich Zieger *1961 in Dublin/Sachsen. Lebt noch. (17. Juli 2015)