Frankfurter Anthologie : Eduard Mörike: „Rätsel“
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Hutzelmännlein, Wasserfrau und Spinnrad: Die Gaben eines deutschen Dichters für arme Kinder und andere Freunde vieldeutig-verspielter Lyrik und Prosa.
Die Geschichte der komischen Lyrik in Deutschland ist leicht überschaubar. Ein zur Melancholie neigender und (mit 39 Jahren) pensionierter Pfarrer wie Eduard Mörike hat darin jedenfalls einen wichtigen Platz verdient. In seinen Gedichten hat er mit Lesererwartungen und Rätselmomenten gespielt, hier nun widmet er sich in einer eigenwillig verfremdeten Sprache einem für seine Zeit noch durchaus relevanten Gegenstand. Erschienen ist das Gedicht zuerst 1846 in der Sammlung „Weihnachtsbaum für arme Kinder. Gaben deutscher Dichter“, die einen wohltätigen Zweck verfolgte, aber nach des Dichters Einschätzung eher unbedeutende Gedichte bietet. Mörike, der seine Gedichtsammlung von Auflage zu Auflage stets neu kontrollierte und veränderte, hat denn auch diesen Text in keine Ausgabe aufgenommen. In der berühmten „Historie von der schönen Lau“, die er als Binnenerzählung ins Märchen vom „Stuttgarter Hutzelmännlein“ aufgenommen hat, wird das Gedicht – in bereinigter Sprache – der schönen Lau selbst in den Mund gelegt. Somit wird es zu Lebzeiten Mörikes an prominenter Stelle doch mehrfach wieder abgedruckt. So schlecht kann es Mörike also nicht gefunden haben.
Einer seiner späteren Herausgeber, Harry Maync, spricht angesichts der Urfassung etwas humorlos von einer „Sprachvergewaltigung in Gelegenheitsversen“. Aber von was für einer Gelegenheit ist hier die Rede? Die Lösung des Rätsels – sie wird auch im Erstdruck als Fußnote geliefert – ist das Spinnrad. Raffiniert hat Mörike das Gedicht als Rollengedicht angelegt, in dem sich das Objekt selbst vorstellt und zum Lösen des Rätsels auffordert – der gesellige Charakter ist daher von zentraler Bedeutung. Am Spinnrocken erzählen sich die Frauen „Märchen ohne Zahl“, das Spinnrad wird also nicht nur zum gesellschaftlichen Mittelpunkt, sondern gewinnt Symbolcharakter. Hier wird nicht etwa nur Flachs gesponnen, sondern zugleich auch ein Text gewoben.
Sagt, Leute, was mag das sein?
Das harmlos scheinende Gedicht gibt sich in doppelter Weise zu lesen, es ist Gebrauchs- und Gelegenheitslyrik, auf einer anderen Ebene aber auch Kommentar. Solche Gedichte wollen nicht nur gehört werden oder gelesen sein, sie sollen überdies – „Sagt, Leute, was mag das sein?“ – entziffert, geknackt, besprochen werden. Die Hörer und Leser sind direkt angesprochen, das Rätselspiel erweist sich als dialogischer Kniff. Freilich macht es der Autor seinem Publikum nicht ganz leicht, er spinnt ein paar kaum auflösbare Kontraste und Spannungen, Knoten des Verstehens gleichsam, in den Text ein, etwa wenn die Königin sich als schlank – in der Märchenfassung als dürr – bezeichnet und von ihrer zierlichen Krone spricht. Oder in der zweiten Strophe, wo die Frauen „kein einzig Haar“ an ihr lassen, ohne dass sie jemals kahl würde. Gesteigert sind diese Paradoxien in der Schlussstrophe, wenn sich das Rad zwar dreht, aber sich nicht vom Fleck bewegt.
Mörike setzt freilich nicht auf die schicksalhafte Symbolkraft des Spinnens, wie sie zeitgleich Wagner im „Fliegenden Holländer“ oder der Nornenszene der „Götterdämmerung“ mit großem Orchester aufbietet, vielmehr versteckt er im Humor unter dem Anschein des Harmlosen ein geistreiches Spiel von Andeutungen, das überdies zu einem Erkennungszeichen werden sollte. Die schöne Lau fordert im Märchen ihre Hörerinnen am Blautopf dazu auf, das Gedicht als Losung einzusetzen: Wenn jemand aus dem Schwabenland zur Donaumündung (von der sie stammt und zu der sie zurückkehrt) kommen sollte, so wäre die Lau dadurch zu erkennen, dass nur sie selbst das Rätsel lösen könne und keine andere, die dem Gast vielleicht schaden wolle. Immerhin, sie identifiziert sich also mit dieser „Losung“, denn am Schwarzen Meer kennt man weder „Rocken und Rädlein“ noch versteht man die Sprache.
Bei dem im Dialekt gehaltenen Klötzle-Vers („’s leit a Klötzle Blei glei bei Blaubeura“) zeigt sich im Märchen der vermeintliche Unfug als Prophezeiung. Was Mörike hier wohl dazu veranlasst hat, eine eigenwillige Kunstsprache zu schaffen? Zumindest den Kindern unter den Lesern des „Weihnachtsbaums“ mag sie gefallen haben.
Eduard Mörike: „Rätsel“
Ik bin eine schlanke Königin,
Trag’ auf dem Haupt eine zierliche Kron’,
Und die mir dienen mit treuem Sinn,
Die haben großen Lohn.
Meine Frauen müssen mik schön frisir,
Erzählen mir Märchen ohne Zahl.
Sie lassen kein einzig Haar an mir,
Doch bleib ik nit lang kahl.
Spazieren fahr ik frank und frei,
Das geht so rasch, das geht so fein;
Nur komm ik nit vom Platz dabei –
Sagt, Leute, was mag das sein?