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Frankfurter Anthologie : Mascha Kaléko: „Wiedersehen mit Berlin“

  • -Aktualisiert am

Bild: F.A.Z.

Schicksal einer Exilantin: Verse über eine Rückkehr in das zerstörte Berlin nach dem Ende der NS-Diktatur, Verse über eine fremd gewordene Heimat.

          2 Min.

          Es gibt keine Heimkehr aus dem Exil. Nicht, wenn man es ernst meint mit dem, was Heimkehr bedeutet, nicht nach achtzehn Jahren im Exil.

          Mascha Kaléko hatte zunächst ein kleines Glück im großen Unglück. Ihr erster Gedichtband „Das lyrische Stenogrammheft“ kam im Januar 1933 gerade noch vor Hitlers Machtantritt heraus. Auch ihr zweites Buch konnte im Jahre darauf unbeanstandet erscheinen, offensichtlich war den Nazis nicht klar, dass es von einer Jüdin stammte. Doch dann erhielt sie Schreibverbot und floh 1938 mit Mann und Sohn vor dem Terror in die Vereinigten Staaten.

          In ihren Gedichten traf sie den neusachlichen Ton der Zeit: eine leise angedeutete romantische Sehnsucht, die sich hinter einer Fassade von schnoddriger Coolness verbirgt. Sie galt mit Mitte zwanzig als das vielleicht wichtigste Nachwuchstalent der deutschen Lyrik. Hermann Hesse feierte ihre kluge Ironie, die „direkt von Heinrich Heine“ abstamme. Doch durch die Flucht verlor sie ihr Publikum.

          Heimisch wurde sie hier nicht mehr

          Achtzehn Jahre und einen Weltkrieg später brachte der Rowohlt Verlag das „Lyrische Stenogrammheft“ noch einmal heraus in erweiterter Form und lockte Mascha Kaléko 1956 zu einer Werbetour nach Deutschland. Für sie wurde es ein seltsam nostalgischer und zugleich ernüchternder Besuch: Wieder lag ihr „erster Versband in den Buchläden“, wieder priesen die Zeitungen ihr erstaunliches Talent, aber über ihre Fremdheit in dem von Kriegszerstörung gezeichneten Land konnte sie das nicht hinwegtäuschen.

          Ein Journalist begann sein Interview mit der Frage, wie sie das zerbombte Berlin denn finde, und sie antwortet: „Von finden kann keine Rede sein, ich suche es immer noch.“ Ein anderer rief sie an: „Ick bejrüße Ihn’ in Ihr altet Berlin.“ Sie spazierte durch Steglitz, wo sie einmal wohnte und wo sie nun niemand mehr erkannte. Sie suchte nach vertrauten Straßen, konnte sie aber zwischen lauter Ruinen oft nur am Straßenschild identifizieren. Und dort, wo sie sich früher im „Romanischen Café“ mit Autorenkollegen traf, fand sie lediglich einem „riesenleeren Platz“ vor, wie sie in einem Brief an ihren Mann schrieb: Es war „nicht ein Steinchen mehr“ erhalten.

          Kurz vor Ostern meldete sich der Redakteur einer Zeitung und bat sie um einen Beitrag über ihren Besuch in der Stadt, die einmal ihre Heimat war. Erst zögert sie, dann fasst sie ihre Eindrücke zusammen und verwandelt sie in dieses Gedicht, fein ausbalanciert zwischen dem Glück der Wiederbegegnung und der Trauer über das unwiederbringlich Verlorene.

          Mascha Kaléko konnte das, sie konnte Erlebnisse des Alltags mithilfe von Rhythmus und Reim poetisch zum Schweben bringen und hinter den zufälligen Details eine überhaupt nicht zufällige emotionale Wahrheit spürbar machen. Der freche Witz der frühen Gedichte war durch die Erfahrungen von Krieg und Exil in den Hintergrund getreten und hatte, wie Thomas Mann schrieb, „einer gewissen aufgeräumten Melancholie“ Platz gemacht.

          Auch dieser Ton traf auf Gegenliebe bei Kritik und Publikum. Kurze Zeit sah es so aus, als könnte Mascha Kaléko doch wieder dort anknüpfen, wo die Nazis ihre Karriere abgebrochen hatten. Zwei Jahre später erschienen ihre „Verse für Zeitgenossen“ in Deutschland, wieder ging sie auf Lesereise, wieder hieß man sie willkommen, und die Akademie der Künste in Berlin wollte ihr den Fontane-Preis verleihen.

          Doch dann erfuhr sie, dass Hans Egon Holthusen, Direktor der Literaturabteilung der Akademie, früher in der SS war, und weigerte sich, aus seinen Händen einen Preis entgegenzunehmen. Plötzlich wechselte der Umgangston mit ihr. Man habe, teilte ihr die Akademie mit, „Haltung und Gesinnung“ Holthusens geprüft: „Anlaß zu Beanstandungen hat sich nicht ergeben.“ Und der Generalsekretär beschied: „Wenn es den Emigranten nicht gefällt, wie wir die Dinge hier handhaben, dann sollen sie doch fortbleiben.“

          Heimisch geworden im Literaturbetrieb der Bundesrepublik ist Mascha Kaléko danach nicht mehr. Zwar erschienen noch Bücher von ihr, aber sie wurde immer weniger beachtet. Sie verließ die Vereinigten Staaten, nicht um nach Deutschland zurückzukehren, sondern um nach Israel auszuwandern. 1975 starb sie in der Schweiz und wurde in Zürich beerdigt.

          Mascha Kaléko: „Wiedersehen mit Berlin“

          Berlin, im März. Die erste Deutschlandreise,
          Seit man vor tausend Jahren mich verbannt.
          Ich seh die Stadt auf eine neue Weise,
          So mit dem Fremdenführer in der Hand.
          Der Himmel blaut. Die Föhren lauschen leise.
          In Steglitz sprach mich gestern eine Meise
          Im Schloßpark an. Die hatte mich erkannt.

          Und wieder wecken mich Berliner Spatzen!
          Ich liebe diesen märkisch-kessen Ton.
          Hör ich sie morgens an mein Fenster kratzen,
          Am Ku-Damm in der Gartenhauspension,
          Komm ich beglückt, nach alter Tradition,
          Ganz so wie damals mit besagten Spatzen
          Mein Tagespensum durchzuschwatzen.

          Es ostert schon. Grün treibt die Zimmerlinde.
          Wies heut im Grunewald nach Frühjahr roch!
          Ein erster Specht beklopft die Birkenrinde.
          Nun pfeift der Ostwind aus dem letzten Loch.
          Und alles fragt, wie ich Berlin denn finde?
          – Wie ich es finde? Ach, ich such es noch!

          Ich such es heftig unter den Ruinen
          Der Menschheit und der Stuckarchitektur.
          Berlinert einer: „Ick bejrüße Ihnen!“,
          Glaub ich mich fast dem Damals auf der Spur.
          Doch diese neue Härte in den Mienen ...
          Berlin, wo bliebst du? Ja, wo bliebst du nur?

          Auf meinem Herzen geh ich durch die Straßen,
          Wo oft nichts steht als nur ein Straßenschild.
          In mir, dem Fremdling, lebt das alte Bild
          Der Stadt, die so viel Tausende vergaßen.
          Ich wandle wie durch einen Traum
          Durch dieser Landschaft Zeit und Raum.
          Und mir wird so ich-weiß-nicht-wie
          Vor Heimweh nach den Temps perdus ...

          Berlin im Frühling. Und Berlin im Schnee.
          Mein erster Versband in den Bücherläden.
          Die Freunde vom Romanischen Café.
          Wie vieles seh ich, das ich nicht mehr seh!
          Wie laut „Pompejis“ Steine zu mir reden!

          Wir schluckten beide unsre Medizin,
          Pompeji ohne Pomp. Bonjour, Berlin!

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