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Frankfurter Anthologie : Martina Hefter: „Sie spricht nicht mehr“

  • -Aktualisiert am

Bild: privat

Es gibt es kaum etwas Schwierigeres, als Krankheit und Schmerz in die Sprache zu holen. Die Dichterin Martina Hefter porträtiert das Leben ihrer Schwiegermutter in einem Pflegeheim.

          3 Min.

          Wenn die Menschen alt werden, wenn ihnen die Zähne ausfallen und die Sorgen bleischwer aufs Gemüt drücken, verwandeln sie sich langsam in Schildkröten. Der Kiefer und die Wangenknochen sinken ab, die Schädelplatte schrumpft, und die Haut wird trocken und hart. Zuletzt, nach einer Metamorphose von mehreren Jahren, wölbt sich der Rücken und verhornt zu einem runden Schild, auf dem eine feine Zeichnung hervortritt, ein Bild, aus dem die Kinder und Enkel ihre Zukunft lesen.

          So hat es der Schriftsteller Marc Wortmann einmal skizziert. Tatsächlich aber finden sich alte Menschen heute weniger als halbmythische Schildkröten wieder, sondern sie leben oft in Pflegeheimen und Krankenhäusern. Für einen Autor gibt es kaum etwas Schwierigeres, als Krankheit und Schmerz in die Sprache zu holen. Die Dichterin Martina Hefter arbeitet sich an zwei großen Aufgaben ab, die fest miteinander verbunden sind. „Es könnte auch schön werden“ heißt ihr Band, in dem sie sich dem Leben ihrer Schwiegermutter (die vernuschelt zur „Schwermutter“ wird) in einem Leipziger Pflegeheim widmet. Doch „schön“ im Sinne harmonischer Gebilde sollen die Texte gerade nicht sein. Und sie sollen aus dem Leid anderer Menschen keinen künstlerischen Nutzen ziehen.

          Wie es ihr geht

          Martina Hefter hat einen simplen, aber genialen Einfall. Sie schreibt für ihr Buch nicht nur Gedichte, sondern noch eine zweite Art von Texten, die sie selbst als „Sprechstücke“ bezeichnet. Texte, die auf Brechts Idee eines „Lehrstücks“ beruhen: Sie heben den Unterschied zwischen Bühne und Publikum auf und wollen eine Erkenntnis vermitteln. Es sind Monologe einer Sprecherin, die sich „Martina Hefter“ nennt. Sie redet den Leser (oder Zuhörer) offen an und hinterlässt sogar ihre Handynummer. In diesen Sprechstücken reflektiert Hefter all die aufgeworfenen Fragen nach harmonischen Gebilden und ästhetischer Instrumentalisierung von Leid. So wird sie frei, hinterrücks doch Gedichte zu schreiben, die auch mit Momenten von Schönheit spielen können.

          Die Situation ist ganz alltäglich, profan geradezu, deswegen heißt die Lösung für das Schreiben: „Mach alles profan.“ Man kann einfache, klare, bisweilen umgangssprachliche Sätze benutzen. „Wie gehts dir? Was gabs zu Mittag?“ lauten die Fragen an die Schwiegermutter, die in ihrem Zimmer sitzt und nicht mehr spricht. Aber sie ist höchst aufmerksam, ihr Blick ist sofort aktiv, „schießt herbei“, als die Sprecherin das Heimzimmer betritt. „Sie mittendrin, ich neben ihr“, lesen wir weiter unten. Andernorts verwendet Hefter Wörter wie „anglunzen“, „schlunzen“ oder „supi-dupi“. Auch der Rhythmus ist an die Alltagssprache angelehnt, wird aber dann in einen eigenen Takt überführt, der, wie die Wege im Park, „verschnörkelt in engen Schnecken“ ist.

          Fast beiläufig spielt Martina Hefter mit Lauten und Klangfarben, folgt der „Laut-leite“, wie die Dichterin Elke Erb solche Klangassoziationen einmal genannt hat, „gehts“ – „gabs“ – „gewohnt“, „Frage“ – „Fenster“ – „Fernseher“, „Kräuterbeet“ – „Kirschbaum“ – „Krähen“. Oder das Leben versprechende „ei“, das sich über „herbei“, „einer“, „zeigt“ in die kleine Zahlenreihe in der vierten Strophe schleicht, um schließlich noch in die „Geister“ und den „Heimweg“ einzuwandern. Am intensivsten jedoch ist der dritte Vers des Gedichts, der davon spricht, dass am Ende einer Frage der Ton hochgeht. Aber der Ton geht nicht hoch, sondern Hefter setzt der Atmosphäre aus I-Lauten, die sie in den ersten beiden Versen ausgebreitet hat, dunkle O-Laute entgegen („Ton hoch, so sind wirs gewohnt“), die schon das Dunkel des Zimmers zwei Strophen weiter vorwegnehmen. Das wundersame Paradox der Laute überträgt sie dort in ein ebenso paradoxes Bild. Nicht das Flackern des Fernsehers färbt das Zimmer ein, sondern gerade, dass er abgeschaltet ist, die Abwesenheit einer Aktivität – vorsichtiger Hinweis auf den Tod, der in diesen Gedichten immer anwesend und abwesend zugleich ist, wie die Krähen auf der Wiese.

          „Wenn alles bloß für eine Sekunde stillstünde. / Wenn nur jemand im Ufergestrüpp schliefe“, heißt es in einem anderen Gedicht des Bandes. Ein Hilferuf, vielleicht nur ein Seufzer, die Zeit und das Leid für einen Augenblick aufheben zu können. Es ist der Rilke’sche Konjunktiv, der in diesen Versen mitschwingt („Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel / Ordnungen“), ein Konjunktiv, dem die Vergeblichkeit, fast Verzweiflung eingeschrieben ist angesichts der Erfahrung, dass das Leben endlich ist – und das Schöne nichts als des Schrecklichen Anfang. Doch Martina Hefter arbeitet nicht mit einfachen Gegensätzen. Sie verschränkt Schönes und Profanes unauflöslich miteinander. Die Engel sind in ihrem Buch denn auch Teufel, die aber nicht klassisch listig oder böse sind, sondern meist friedlich und den Menschen zugewandt. Wie die Sprecherin, die immer wieder rebelliert gegen das Altern – und einmal voller Einfühlung zu ihrer Schwiegermutter sagt: „Ich habe eine Liebe. / Komme rein.

          Martina Hefter: „Sie spricht nicht mehr“

          Sie spricht nicht mehr, aber ihr Blick schießt herbei, trete
          ich ins Zimmer,

          Wie gehts dir? Was gabs zu Mittag?
          Am Ende einer Frage geht der Ton hoch, so sind wirs
          gewohnt.

          Der Park hinterm Fenster zeigt die gepflasterten Wege
          plötzlich alle in ihrer tatsächlichen Länge, mehrfach parallel
          nebeneinandergelegt oder verschnörkelt in engen
          Schnecken, so oft rollten wir da entlang,
          ließen das Kräuterbeet welken,
          den Kirschbaum sterben, wie oft?

          Dass der Fernseher ausgeschaltet ist, färbt das Zimmer,
          dunkel schon um eins, schwarz um zwei,
          um drei Krähen auf der Wiese.

          Die Pfleger kommen rein, spielen die guten Geister,
          aber spielen nur, das hier ist die materielle Welt.
          Sie mittendrin, ich neben ihr
          entschließe mich zum Heimweg.

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