Frankfurter Anthologie : Antonio Machado: „Ostersonntag“
- -Aktualisiert am
Bild: FAZ
Auch karge Landschaften haben ihren Reiz. Es muss nur einer kommen, der sie beschreibt: ein Spaziergang auf den spanischen Feldern der Poesie.
Es ist ein Trugschluss, wenn man glaubt, dass der Süden stets üppig und farbenfroh sei. Das Spanien, das uns in den Gedichten Antonio Machados begegnet, wirkt alles andere als „südlich“: schwarz-weiße Kontraste (die weißen Störche und die schwarzen Rinder), von wenigen bunten Tönen untermalt (das Feldergrün, das Moos, die Eichen, die Hirtenjoppe), eine matte, ja blasse Farbigkeit, die aber, einmal vorhanden, verlässlich bleibt, kein blendender Schein, der allzu schnell wieder verflacht. Die Konstanz, die Mattigkeit des Lichtes, das man so wenig mit Spanien verbindet, mögen von den Steinen herrühren, der Hochebene der Meseta im mittleren Westen Spaniens mit ihrem steppenartig ausgeschliffenen Karst: Es ist die Herzenslandschaft des Dichters Antonio Machado, der vor achtzig Jahren auf der Flucht vor Francos Truppen im französischen Grenzort Collioure starb.
„Campos de Castilla“ lautet sein Hauptwerk – Kastilische Felder –, das in Spanien zum Kanon der modernen Poesie gehört, neben Federico García Lorcas „Romancero“, den Gedichten von Miguel Hernández und Rafael Alberti. In Deutschland ist Machado lange Zeit nur in Anthologien vertreten gewesen, bis 2001 eine zweisprachige Gesamtausgabe erschien. Zu wenig hat seine Lyrik mit dem feurigen Andalusien zu tun, das man hierzulande mit der Sonne Spaniens assoziiert. Machados Gedichte leben aus der Beschränkung ihrer Mittel, der bis ins Monotone und Monochrome gehenden Wiederkehr einfachster ländlicher Bilder und Szenen, fast könnte man von einer nördlichen Einsilbigkeit sprechen, würden viele seiner Gesänge nicht doch urplötzlich ins Reden, Rollen und Strömen kommen wie die mächtigen Binnenflüsse, die er besingt, allen voran der Rio Duero und der Guadarrama. Machado, obwohl in Sevilla geboren, ist ein Dichter der Flüsse und Hochplateaus, der die Farben seiner Landschaft nicht dick, sondern schlicht und wahrheitsgetreu aufträgt. Sein Lieblingston scheint das Ocker zu sein, das mal ins Gelbliche, mal ins Braune und mal ins Graue changiert – je nach Sonnenstand und Maserung des kalkigen Untergrunds.
Kastilische Auferstehung
Und je nach den Jahreszeiten, die als konstantes kalendarisches Indiz das archaische Antlitz von Machados Landschaften grundieren. Hier ist es das Frühjahr, genauer der Ostersonntag, „Pascua de resurrección“, wie es im Original heißt – ein Fest, das bei dem kastilischen Wortlandschaftsmaler ebenso wenig wie Goethes „Osterspaziergang“ in der christlichen Tradition aufgeht, wenngleich einzelne Elemente wie die Jungfrauen oder der Schäfer oder auch das Wasser darauf verweisen mögen; sie verweisen jedoch genauso auf die dem christlichen Ostern vorausgegangenen Bräuche der sich mit dem Frühling erneuernden und zurückkehrenden Natur. Persephone tritt wieder aus der Unterwelt, um Demeter, ihrer „herben“ Mutter, nah zu sein.
In einer kargen Kulisse springt jeder Tupfer ins Auge. Es ist in Machados Welt schon ein Wunder, wenn die Felder grünen, die Quellen fließen, Mädchen auf die Straße gehn, als träte mit ihnen die Verheißung in die Welt. Dieser Ostersonntag ist ein Allerweltstag in der spanischen Meseta, den das Auge des Dichters unter der Frühlingssonne mit wenigen Gesten unvergesslich macht. Er kommt dabei ohne kühne expressionistische Metaphern aus und bedient sich stattdessen einer genauen, die Dinge unumwunden klar und einfach setzenden Diktion. Es ist eine Einfachheit, die unmittelbar mit der beschworenen Landschaft korrespondiert, deren Reize gerade in ihrer (scheinbar) reizlosen Alltäglichkeit, ihrer Unwirtlichkeit und dem von Tagesaktualitäten unbeirrten archaischen Kreislauf der Jahreszeiten liegen. Auch eine abweisende Gegend hat, wie es bei Stifter in der Novelle „Kalkstein“ heißt, ihre Schönheit; es muss nur einer kommen, der sie benennt. Genau das tut Antonio Machado und hat damit weit über Spanien hinaus Maßstäbe für eine Poesie der Landschaft gesetzt.
Die ländlich unspektakuläre Simplizität mag in der Kunstgeschichte ihre Vorläufer bei den Niederländern (dem „Bauern-Breughel“) haben, in einigen Skizzen Goyas, bei Millet oder van Gogh zu finden sein; die kraftvolle Einfachheit der Sprache, einen bislang unbesungenen Raum poetisch aufzuladen, ist Machados Verdienst. Wie kunstvoll diese Schlichtheit mit der Stimmigkeit der poetischen Bilder einhergeht, ist an den Transformationen des Auges zu erkennen, das den Dingen unter dem Licht sein Staunen entgegenbringt. Zunächst ist es die Iris der Sonnenbahn, die einen Tag beschreibt (der „Lebensbogen“). Dann folgt der Blick jener, denen in der Berührung der Mädchen förmlich die Augen aufgehen. Es fehlt nicht viel, und sie könnten die Schrift der Störche aus der Luft buchstabieren. Zugleich sind sie erdverbunden genug, um wieder zu den Rindern und den Merinoherden zurückzukehren.
Wenn ich an hierzulande vergleichbare Autoren denke, so fallen mir Namen wie Johannes Kühn oder Wulf Kirsten ein – beides Dichter, die ihre Landschaften, das Saarland und die sächsisch-thüringischen Mittelgebirge, in wenigen, kräftigen Strichen aufleben lassen und unvergesslich machen. Peter Handke hat mit Machados Versen im Gepäck sein persönliches Kastilien entdeckt. Sie sind ihm Aufforderung, sich in anachronistischer Manier auf die Spur der einfachen Dinge zu begeben. In einer Szene seines Films „Die Abwesenheit“ tritt Handke selbst vor die Kamera und wünscht dem Protagonisten gute Wanderschaft: „Adiós, Senor Machado!“ Auch 110 Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung in der Zeitschrift „La Lectura“ bietet Machados Gedicht einen willkommenen Anlass, die Auferstehung der Natur mit Leib und Seele zu feiern.
Antonio Machado: „Ostersonntag“ / „Pascua de Resurrección“
Sieh: der Lebensbogen spannt
seine Iris über das Feldergrün.
Geht eure Liebsten suchen, Mädchen,
wo das Wasser blinzelt und dämmert und rinnt,
da wird die Liebesromanze erzählt.
Sollen in euren Armen nicht bald schon
Augen in die Frühlingssonne staunen,
die verschlossen zur Welt gekommen
und blind wieder aus dem Leben gehn?
Saugen an euren Brüsten nicht bald
schon jene, die morgen das Feld bestellen?
O feiert an diesem lichten Sonntag,
blütenzarte Bräute, eure neue Heimlichkeit!
Genießt das Lächeln eurer herben Mutter.
Die Störche haben ihr Liebesnest bezogen
und schreiben um die Türme ihre weiße Kringelschrift.
Das Moos der Felsen flimmert Edelsteinen gleich.
Zwischen den Eichen käuen
schwarze Rinder die kargen Stengel wieder
und der Hirt bei seiner Lämmerherde
streift in den Bergen die braune Kutte ab.
Aus dem Spanischen von Jan Volker Röhnert
***
Mirad: el arco de la vida traza
el iris sobre el campo que verdea.
Buscad vuestros amores, doncellitas,
donde brota la fuente de la piedra.
En donde el agua ríe y suena y pasa,
allí el romance del amor se cuenta.
?No han de mirar un día, en vuestros brazos,
atónitos, el sol de primavera,
ojos que vienen a la luz cerrados,
y que al partirse de la vida ciegan?
?No beberán un día en vuestros senos
los que manana labrarán la tierra?
!Oh, celebrad este domingo claro,
madrecitas en flor, vuestras entranas nuevas!
Gozad esta sonrisa de vuestra ruda madre.
Ya sus hermosos nidos habitan las cigüenas,
y escriben en las torres sus blancos garabatos.
Como esmeraldas lucen los mugos de las penas.
Entre los robles muerden
los negros toros la menuda hierba,
y el pastor que apacienta los merinos
su pardo sayo en la montana deja.