Frankfurter Anthologie : Marion Poschmann: „Hinweise zur Erderwärmung“
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Bild: F.A.Z., Wonge Bergmann
Geht es in diesem Gedicht eigentlich um Erderwärmung? Und wer ist das lyrische „Wir“? Darin ist Marion Poschmann eine Meisterin: Sie schafft eine Klarheit wolkiger Ordnung, die man erlebt haben muss.
Die Antwort tendiert zu einem „Möglicherweise“. Die Antwort auf die Frage, ob dieses Gedicht (der Text steht unten im Kasten) tatsächlich Hinweise zur Erderwärmung enthält. Die Hinweisnennung ist ja schon ein erster Hinweis, die Zellophanisierung der Nacht ein weiterer: Wir haben uns was arg gemacht.
Wir, die Leser, und „wir“, das lyrische Ich. Vielen Texten der 1969 geborenen Dichterin Marion Poschmann ist dieses „wir“ konstitutiv. In diesem Wir ist Drift, ein Zustand zwischen Wohlfühlfatalismus und Kopf-hoch-Utopie. Neugierig und einlasswillig unterwegs – kleine Vorhut unserer Ambitionen.
Man könnte sagen, das Ich holt sich Verstärkung in der ersten Person Plural. Um nicht allein zu sein. Fächert sich auch auf, um mehr von der auf uns einsplitternden Welt einfangen zu können. Und findet sich trotzdem in Hinterlanden des Plausiblen wieder, „behelligt“, Vanitasnomaden im ungesicherten Bereich.
Da steht etwas Störrisches im Weg
Zugleich ist diese Cloud des „wir“ selbst ein Unschärferelais, es etabliert eine Klarheit wolkiger Ordnung, etabliert also Poesie. Wir „sind eine angenehme Streuung Stimmung“, heißt es in einem Gedicht der Autorin. Es gilt, die Umgebung aufzuzaubern. Aufzuleben in der Betrachtung (die sich das zu Betrachtende oft selbst erschafft, zurechtmacht).
Die Teilnehmer an Poschmanns „wir“ erscheinen wie Draufloslaboranten, die naivschön nach vorn agieren, um nicht vom hart Realen eingeholt zu werden. Das mündet in einer Poesie der Latenz, im Heil flimmernder Halbwegshaftigkeit. Alles ist zerfasert miteinander verfasert, ist Hinweis, ist Option. Das „wir“ ist abrufbar für etwas Besseres und erlebt sich dabei ein bisschen wie von außen: Was ist das wohl, an dem die Welt passiert?
Poschmann will – so sagt sie selbst – die Dinge in einen „Schwebezustand“ versetzen. Räume und Systeme werden in ihrem Werk auf seltsame Weise miteinander verwischt: Streuobstwiesen korrelieren mit „Nachkriegsmatratzen“, Naturfragmente mit Wehmutsbiotopen oder dem eigenen Leib. Das Gedicht erschließt uns „Ländereien der Langeweile“, „gestörte Habitate“, die gleichwohl leuchten, weil das lyrische Wir ein so närrisches Interesse daran hegt. „Säuberlich abgepackt“ steht uns immer wieder etwas Störrisches im Weg, oft ist es bei Poschmann weiß (manchmal gleißt es) und weitet uns die Phantasie. So gehen wir durch diese Gedichte und staunen uns in die Irre oder wesentlichwärts, frei von der Bürde der „furchtbare(n) Vollständigkeit“. Möglicherweise kühlt uns dabei die Winterhitze warm, Hinweise gibt es.
Hinweise zur Erderwärmung
störrisch im Gegenlicht stehen
die Wintertiere mit Goldrand
sie kauen ein Amt, eine Bürde
wir wollten uns wärmer fühlen
noch haben wir alle Sonne für uns
der leichte Rauchgeruch aus ihren Hufen
liegt tiefer als sonst, wir kneifen
die Augen zusammen, behelligt, geblendet,
und später ergibt es sich, und wir
stopfen die Ritzen zwischen ihnen zu
so entsteht ein Gefühl von unverhoffter Freude
wie sehr stark durchgeführte Flüsse
die Winterhitze, noch ist sie rosa
etwas Zänkisches treibt säuberlich abgepackt
in dieser Polarnacht aus Zellophan