Frankfurter Anthologie : Heinrich Heine: „Kluge Sterne“
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Bild: dpa; Thomas Huber
Dichter haben immer schon gern den Blick zum Himmel erhoben, sehnsuchtsvoll und hilfesuchend. Aber die Sterne funkeln nur kalt zurück. Vielleicht wollen sie mit uns Menschen gar nichts zu tun haben?
Als er Hegel „eines schönen, hellgestirnten Abends“ 1821 in Berlin traf, war Heine entsetzt darüber, dass der „Meister“ die Meinung vertrat, Sterne, das sei „nur ein leuchtender Aussatz des Himmels“ und der wohl kein Ort, an dem „die Tugend nach dem Tode“ belohnt werde. Der junge Dichter sah das – noch – anders. Das poetische Sternenmotiv der Weisheit, der Schönheit und der Liebe verwendete er häufig, und doch hat er es nur gelegentlich so schwärmerisch besungen wie seine romantischen Kollegen. „Es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt,/Und ein Narr wartet auf Antwort“, ist bereits im „Buch der Lieder“ von 1827 zu lesen.
Das Gedicht „Kluge Sterne“, verfasst im Jahr 1844, findet sich in einem Kleinzyklus mit dem Titel „Zur Ollea“, womit Heine, selbstironisch gegenüber den hier versammelten Stücken, auf das spanische Eintopfgericht ‚Olla podrida‘ anspielte, das er im „Atta Troll“ in schmutziger Schüssel dampfen lässt. Die Gedichte der kleinen Sammlung sind humorvoll und böse, ernsthaft und verspielt, manchmal in grotesker Manier, die auf Christian Morgenstern vorausweist. Die drei Strophen unseres Gedichts sind drei Motiven gewidmet, die bekanntlich zu den ältesten der Weltliteratur gehören und die Phantasie immer wieder angeregt haben. Doch hier sind sie ‚verletzt‘, ja sogar ins Gegenteil ihrer landläufigen Bedeutung verkehrt. Da gibt es keine Offenbarung mehr durch die Blaue Blume eines Novalis, da ist keine Sprache der Liebe mehr zu vernehmen; nicht einmal die verzweifelt religiöse Poetik eines Brentano („O Stern und Blume, Geist und Kleid,/Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit“) vermag den Verlust zu lindern: Indem die Blumen „leicht“ zertreten werden – die „blöden“, das sind die schwachen, und die „dreisten“, das sind die forschen –, zeigt sich die zerstörerische Macht einer wenig heilen Welt. „Ein Fluch dem falschen Vaterlande,/Wo nur gedeihen Schmach und Schande,/Wo jede Blume früh geknickt,/Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt“, schrieb Heine im Gedicht über die schlesischen Weber.
Goldene Lügen im dunkelblauen Nichts
Mit der zweiten Strophe spielt er auf die trivialromantische Abenteuerlust wie auf die entwickelte Technik an, die es ermöglicht, natürliche Schätze und Artefakte aus der Tiefe der Erde wie des Meeres zu heben. Aber um welchen Preis? Die Perle wird durchbohrt, tatsächlich verletzt, verwertet für die Wohlhabenden, ins „Joch“ gespannt. Einzig die Sterne bleiben „ewig“ unberührbar und „sicher“. Heines Verwendung des Motivs ist der englischen Romantik näher als der deutschen Tradition, wenn es bei John Keats heißt: „Die Sterne stehen kalt am Himmel dort“ oder bei Shelley: „Und droben scharten sich die bleichen Sterne“. Sternschnuppen sind keine Wunschträger, und die Sterne fallen nicht herab als Sterntaler. Bei Hans Christian Andersen geht das Mädchen, als alle Schwefelhölzer fast verbrannt sind, im Tod zu den Sternen ein.
„Wohl begriff ich jetzt“, lässt Heine den Herrn von Schnabelewopski sagen, „daß die Sterne keine liebende, mitfühlende Wesen sind, sondern nur glänzende Täuschungen der Nacht, ewige Trugbilder in einem erträumten Himmel, goldne Lügen im dunkelblauen Nichts“. In einem späten Gedicht greift Heine das Motiv der dem Tod geweihten Blumen, der fernen Sterne und der irdischen Misere noch einmal und schärfer auf: „O wie klug sind doch die Sterne!/Halten sich in sichrer Ferne/Von dem bösen Erdenrund,/Das so tödlich ungesund.“ Das Schlechte triumphiert, das Große und Schöne muss vergehen. Die „Sternen-Moral“ ist eine ganz andere: „Was geht dich, Stern, das Dunkel an?... Mitleid soll Sünde für dich sein“, forderte Nietzsche. Heine war, wie er in den „Reisebildern“ notierte, überzeugt, „die Freiheitssonne wird die Erde glücklicher wärmen, als die Aristokratie sämtlicher Sterne“. Das paradox Tröstliche mag allenfalls sein, dass die Sterne in einer endzeitlichen Katastrophe auch nicht herabfallen werden.
Versteht man die Perle als das Ergebnis einer Erkrankung der Muschel und als Metapher für die Dichtung selbst, so sind Perle und Poesie „nicht mehr ein Geschenk aus der Verbindung des Himmels mit der Erde..., sondern beide sind nur die Frucht eines vom Himmel unberührten Leidens“, so der Motivforscher Friedrich Ohly. Im Schlussgedicht der Sammlung „Zur Ollea“ bezweifelt der ungläubige Thomas nicht die „Existenz der Engel“, der „Lichtgeschöpfe sonder Mängel“, aber sie haben keine Flügel, „hier auf Erden wandeln sie“, beschützen und „trösten jeden, doch zumeist/Ihn, der doppelt qualbeladen,/Ihn, den man den Dichter heißt“.
Heinrich Heine: „Kluge Sterne“
Die Blumen erreicht der Fuß so leicht,
Auch werden zertreten die meisten;
Man geht vorbei und tritt entzwei
Die blöden wie die dreisten.
Die Perlen ruhn in Meerestruhn,
Doch weiß man sie aufzuspüren;
Man bohrt ein Loch und spannt sie ins Joch,
Ins Joch von seidenen Schnüren.
Die Sterne sind klug, sie halten mit Fug
Von unserer Erde sich ferne;
Am Himmelszelt, als Lichter der Welt,
Stehn ewig sicher die Sterne.