Frankfurter Anthologie : Heinrich Heine: „Das Glück ist eine leichte Dirne“
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Zwischen Verzweiflung und Trost: Für Heinrich Heine ist das Unglück in diesem Gedicht das einzige Glück, das von Dauer ist.
„Aber existiere ich wirklich noch? Mein Leib ist so sehr in die Krümpe gegangen, daß schier nichts übrig geblieben ist als die Stimme“, so kommentiert Heinrich Heine im Nachwort zu der Gedichtsammlung „Romanzero“ seine Situation. Er kommt sich wie ein „spiritualistisches Skelett“ vor, das denn auch das zweite Buch dieser Anthologie unter die Überschrift „Lamentationen“ stellt. Darin finden sich Gedichte mit dem Titel „Der Ex-Lebendige“ oder „K.-Jammer“, am Ende dann der große, zynisch-melancholische „Lazarus“-Zyklus. Den Beginn des zweiten Buches bildet aber, als eine Art Motto, das zweistrophige Gedicht, das Flüchtigkeit des Glücks und Anhänglichkeit des Unglücks ironisch zwischen Verzweiflung und Trost schweben lässt.
Von Allegorien zu sprechen würde das kleine Gedicht überlasten; Heine stellt zwei Figuren einander gegenüber, die ihre Eindeutigkeit mit einem reichen Erfahrungsschatz und Hintergrund verknüpfen. Das Glück als „leichte Dirne“ ruft die Unzuverlässigkeit der Liebe in Erinnerung; es lässt sich nicht festhalten, so wenig wie die durch die leichten Verse hindurch sichtbare Göttin der Gelegenheit, die in der antiken Mythologie, in der sich Heine so gut auskannte, als diejenige erscheint, die das Haar nach vorne gekämmt hat, hinten aber kahl ist: Wer sie nicht beim Schopf ergreift, hat sie schon verpasst, denn sie dreht sich um und ist am Hinterkopf nicht mehr zu packen. In für ihn typischer Kontrafaktur vertauscht Heine Täter und Opfer; das angesprochene „Du“ wird hier von der leichtfertigen Geliebten verlassen, nachdem sie ihm in der Matratzengruft noch das Haar aus der Stirne gestrichen hat.
Das gemütliche Strickzeug des Unglücks
So wird dieses „Du“ zu einem ironischen Spiegel der eigenen Befindlichkeit des Dichters, denn in der zweiten Strophe gibt er zu verstehen, dass sich statt des Glücks ein anderer, ungebetener Gast an seinem Bett, und zwar noch auf Dauer, niedergelassen hat: „Frau Unglück“. Bedauerlicherweise hält eben leider nur sie, nicht das Glücksmädchen, an seinem Herzen „liebefest“ – ihr ist es auch nicht eilig, sondern sie richtet sich für länger ein.
Moritz Carrière las schon unmittelbar nach Erscheinen dieses Gedicht als einen Beleg dafür, was er schon aus der persönlichen Bekanntschaft mit Heine geschlossen hatte: dass Heine erst im Unglück das Dauernde sehen lerne. Das wäre eine bittere Moralistik, der gegenüber der Dichter wohl die Lust der Vergeblichkeit reklamiert hätte.
Wäre da nicht, in der Pointe des letzten Wortes, doch noch der Hinweis auf eine Tätigkeit, in der hauswirtschaftliche Handarbeit und Produktivität des Dichters zusammenkommen: Strickwerk, Textur, das bezeichnet auch das Schreiben des Dichters, von dem zuletzt nur noch die Stimme übrig geblieben ist – sie hat er erhoben, in den Text des Gedichts verwandelt, und sie erreicht uns noch heute.
Heinrich Heine
Das Glück ist eine leichte Dirne,
Und weilt nicht gern am selben Ort;
Sie streicht das Haar dir von der Stirne
Und küßt dich rasch und flattert fort.
Frau Unglück hat im Gegenteile
Dich liebefest ans Herz gedrückt;
Sie sagt, sie habe keine Eile,
Setzt sich zu dir ans Bett und strickt.