Frankfurter Anthologie : Anne Vegter: „Das Geheimnis des Buchhändlers“
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Bild: Anne Vegter
Was kann das Buch, was vermag der Händler? Dieses Gedicht von Anne Vegter stellt die entscheidenden Fragen an die bevorstehende Frankfurter Buchmesse und ist zugleich ein Gruß aus dem diesjährigen Gastland.
Auf sandfarbenes Pergament gedruckt, schmückt das niederländische Original dieses Gedichts eine Wand der Buchhandlung Eerste Bergensche Boekhandel. Drei Strophen schildern auf doppelte Weise, was der Buchhändler tut. Er bietet fassbare, käufliche Waren an, aber sein Kerngeschäft findet in der Zone zwischen Beistand und Phantasmen statt. So entschieden, wie die Verse das „eigentlich“ umkreisen, fordern sie dazu auf, diese noble Seite des Zwittertums im Sinn zu behalten und zu ehren.
Immerhin ist in der zweiten Strophe auch von Umsatz die Rede, und das folgende „Kapital“ weckt passende Assoziationen. Doch steht ja nicht „Kapital“ dort, sondern „Kapitalband“, was mit Ökonomie nichts zu tun hat. Ein Kapitalband verbindet Buchrücken und Buchblock und sorgt für den Zusammenhalt der Seiten, es kann aber auch, farblich auf Schnitt und Vorsatzpapier abgestimmt, zum optischen Reiz beitragen. Der Buchhändler schätzt also den handwerklichen und ästhetischen Charakter seiner Ware; flüsternd wünscht er sich sorgfältig gestaltete Bücher und hofft auf Käufer, die ein Auge dafür haben. Er weiß, dass sie in der Minderzahl sind.
Ein Händler der besonderen Art
Die Struktur des Gedichts lässt den Leser vielleicht die Braue heben. Aber die einzelnen Verse sind nicht so glatt, wie sie gleiten. Liebe weiterreichen klingt immer gut, aber welche Liebe ist denn gemeint? Die des Buchhändlers zum Lieblingsautor? Dazu ist selten Gelegenheit. Die des Autors zu seinem Werk, sei es auch bluttriefend und banal? Sicher nicht. Die zur Literatur, sollte man meinen, aber was für ein Meer ist das, und wie grundverschieden sind die vom Leser gewählten Fahrstraßen! Mit dem Gedicht befinden wir uns bereits im schwankenden Boot: Welche Horizonte sollen geöffnet, welches Verlangen soll geweckt werden? Verleihen „Fifty Shades of Grey“ Flügel? Nie und nimmer!, mag der Buchhändler schnauben. Aber die glänzenden Augen der Kundin und das nachdrückliche Tackern der Kasse bezeugen Levitationen, die auch ihm zugutekommen.
So reizt jedes „eigentlich“ zu einem Spiel aus Fragen und Mutmaßungen, bis das Zitat aus Czeslaw Miloszs „Beschwörung“ den immergleichen Bauplan durchbricht. Ohne Scheu vor Pathos formuliert der polnische Nobelpreisträger das Credo, unter welchem Anne Vegter Händler, Leser und Autoren vereint sehen möchte: „Schön ist die menschliche Rede und unzerstörbar“.
Das Buch, so das Fazit des letzten Verses, gleicht einer Rettungsleine, die dem in Kummer oder Einsamkeit Ertrinkenden zugeworfen wird. Ob es ein literarisch anspruchsvolles Werk sein muss, wird hier nicht verhandelt. Buchhandlungen bleiben Orte des Widerspruchs, glücklicherweise, Orte steter Aufmüpfigkeit auf leisen Sohlen, die in viele Richtungen gehen. Und nachgetragen werden muss auch, dass in den Niederlanden wie bei uns der Buchhändler in den meisten Fällen eine Buchhändlerin ist.
Anne Vegter aus Rotterdam wurde 2013 als erste Frau zum „Dichter des Vaderlands“ gewählt, ein nach dem Vorbild des englischen „poet laureate“ geschaffenes Ehrenamt. Der Text entstand letztes Jahr zur Eröffnung der „Boekenweek“ (gesprochen „Bukenweek“), der landesweit im März gefeierten Buchwoche unserer Nachbarn (deren diesjähriges Thema „Deutschland“ war, so wie die Niederlande jetzt Gastland der Frankfurter Buchmesse sind). Bis es in Vegters nächstem Lyrikband erscheint, ist das Gedicht auf der Seite www.dichterdesvaderlands.nl zu finden, und die Buchhändlerinnen im nordholländischen Bergen sind gewiss nicht die einzigen, die sich darin wiedererkennen werden.
Anne Vegter: „Das Geheimnis des Buchhändlers“ / „Het geheim van de boekhandelaar“
Du verkaufst Bücher aber eigentlich reichst du Liebe weiter
du gibst Ratschläge aber eigentlich öffnest du Fernsichten
du nennst einen Autor aber eigentlich weckst du ein Verlangen
du wartest auf eine Frage aber eigentlich stellst du Fragen
Du verkaufst Bücher aber eigentlich bewegst du Sprache
du zeigst auf Regale aber eigentlich sind es Horizonte
du sagst Umsatz aber eigentlich flüsterst du Kapitalband
du nennst einen Titel aber eigentlich teilst du Flügel aus
Du verkaufst Bücher aber eigentlich erzählst du Geschichten du erhältst Hinweise aber bist eigentlich des Lesers Leser
du zitierst „schön ist die menschliche Rede und unzerstörbar“
du bist eine Insel aber eigentlich verkaufst du Rettungsleinen
Aus dem Niederländischen von Gisela Trahms.
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Je verkoopt boeken maar eigenlijk geef je liefde door
je geeft adviezen maar eigenlijk wijs je op vergezichten
je noemt een auteur maar eigenlijk raad je een verlangen
je wacht op een vraag maar eigenlijk stel je vragen
Je verkoopt boeken maar eigenlijk verplaats je taal
je wijst op de kasten maar eigenlijk zijn het horizonnen
je zegt omzet maar eigenlijk fluister je kapitaalbandje
je noemt en titel maar eigenlijk deel je vleugels uit
Je verkoopt boeken maar eigenlijk vertel je verhalen
je wordt getipt maar eigenlijk ben je een lezers lezer
je citeert „mooi is de menselijke rede, en onoverwinnelijk“
je bent een eiland maar eigenlijk verkoop je lifelines