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Frankfurter Anthologie : Georg von der Vring: „Dreifaches Ritornell“

  • -Aktualisiert am

Bild: F.A.Z.

Was da lauscht und tauscht und rauscht: Ein Form-Gedicht, so spielerisch wie abgründig, eine kleine Sprachskulptur, die sich betrachten und begreifen lässt.

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          Manche Gedichte haben etwas Efeuartiges, Immergrünes; solche vor allem, deren Worte sich kaum verbrauchen und deren Formen im Idealfall dazu geeignet sind, sich selbst zu verjüngen. Das Ritornell ist eine solche Form; italienischen Ursprungs, steht es für Leichtigkeit und Gesang. Es meint „kleine Wiederkehr“; die Strophe zu je drei Zeilen mit beweglichem Reimmuster, wobei die erste Zeile kurz sein soll, zuweilen nur aus einem Wort bestehend, oft eine Blume nennend, „Maienglocken“ oder, ausgefallener, „Muskathyazinthen“, um aus Theodor Storms Ritornellen zu zitieren, dem neben Friedrich Rückert eindrücklichsten Dichter von Ritornellen.

          Man kennt die Ritornellform auch aus den Solokonzerten der Barockmusik, in denen sie meist eine in sich strukturierte Orchestereinleitung bezeichnet, von der sich dann die Soloteile abheben. Das Ritornell in der Dichtung wirkt spielerischer als die Terzine, musikalischer, sprachverliebter. Es verkörpert eine Trinität, jedoch bar jeglicher sakraler Bedeutung. Diese Form will das Sprachsinnliche feiern, ganz wie das zur späten Sammlung „Gesang im Schnee“ gehörende „Dreifache Ritornell“ Georg von der Vrings (1889 bis 1968), wobei der Titel die Potenzierung der sprachlichen Dreieinigkeit ankündigt.

          Beim Lesen von Form-Gedichten wie diesem kann man schwerlich umhin, an Goethes Wort vom geheimnisvollen Entzücken durch die Form zu denken und an jenes Motto, mit dem er einst seine Sonette schmückte: „Liebe will ich liebend loben, / Jede Form sie kommt von oben“. Form-Gedichte wie „Dreifaches Ritornell“ – man glaubt sie in der Hand zu halten wie eine kleine Skulptur, die sich von allen Seiten beschauen und „begreifen“ lässt.

          Das Wort im Schilf

          Einen „Klangzauberer“ in der Sprache hat Christoph Meckel von der Vring genannt, und Peter Hamm bezeichnete ihn als den „letzten Meister des Liedes“. Doch war er auch ein unzeitgemäßer Artist in der deutschen Sprache, bereit, gegen gewisse Ausdruckstrends mit den Reizen dieser Sprache zu spielen. Doch damit ist nicht alles über diesen Dichter gesagt, der sich als ursprünglich linksliberaler Pazifist nach 1933 vom Nationalsozialismus opportunistisch einfangen ließ und zwischen 1940 und 1943 als Offizier in der Wehrmacht diente, ein dem NS-Regime gegenüber ambivalenter Mitläufer, der aber noch 1940 einen Band mit Verlaine-Übersetzungen herausbrachte, kein innerer Emigrant, kein Widerstandskämpfer, sondern ein Dichter, der zeitweise dem Irrglauben an eine „reine“, autonome Kunst erlag.

          Von der Vring liebte – auch als bedeutender Übersetzer von William Blake, Robert Frost, Maupassant und Verlaine – das sprachliche Spielen in Vergangenheitsformen, die Erinnerung an eine der Natur entwachsene Kunst, fähig, ihr eigenes Ende formsicher zu besingen. Nein, hier wird nichts beschworen, nichts beklagt, nur formsicher bezeugt, was einmal war und so wohl nicht mehr sein wird. Dieses Gedicht behauptet, dass wir nur dann an diesem, sagen wir es paradox, stillen Rauschen teilhaben können, wenn wir die Natur, das Schilf belauschen. Es gilt, die Natur hörend zu lesen, auch wenn an ein wirkliches Verstehen nicht zu denken ist. Das Schilf steht im Wind wie eine natürliche Äolsharfe. Die Bewegung des Ritornells, die diskrete Dynamik dieses Gedichts ergibt sich durch das beständige Vertauschen der Silben.

          Seltsam, der Dichter sieht im Schilf eine regelrechte „Halmwand“; seit biblischen Zeiten finden sich Menetekel auf Wänden, die aufleuchten, prophezeien und wieder verlöschen. Hier aber ergeben die Zeichen keinen Sinn. Diese Lettern sind Lettern und nichts als Lettern, ganz ohne Bedeutung; denn die Natur, der Wind, vereitelt die Lesbarkeit dessen, was sie andeutungsweise hervorgebracht hat. Oder sollte man das Wort „vertauschen“ wörtlicher deuten? Es steht am Ende eines Halbverses und verweist auf das Spielerische selbst in der Natur, symbolisiert in den Launen des Windes. Spiegelt sich darin nicht auch das Wetterwendische in bestimmten Charakteren, jenem des Dichters eingeschlossen? Vertauschen sich hier die „Lettern“ bis zur Unkenntlichkeit jeglicher Bedeutung und (politischen) Orientierungslosigkeit?

          Doch das dritte Ritornell liefert die entscheidende Variante. Es gab offenbar ein Schilfrohr, dem der Wind nichts anhaben konnte, schrieb es doch seine eigene Weise mit Tusche, ein letzter Tusch, wenn man so will, der an das erinnern will, was Versmusik einmal gewesen ist. Oder wäre das so zu lesen: Wann immer dieses Ich „las und lauschte“, vernahm es, einmal eingestimmt in das „Schilf“, die natürliche Kunstwelt also, „Versmusik“. „Was ich in Rom sah und hörte“, was ich im Schilf las und lauschte, das beginnt zu „singen“. Und was ist es, was da singt? Das Wort im Schilf.

          Eigenartig, die auffälligen Wortwiederholungen dieses Gedichts, sie irritieren nicht. Was da lauscht und tauscht und rauscht, es hebt sich gleichsam selbst auf, besänftigt, sorgt sich nicht um das eigene Verklingen-Müssen, weil das Ende des Ritornells nach Karussellart dessen Anfang sogleich wieder herausfordert und ins Spiel bringt.

          Georg von der Vring gehört zu den am gründlichsten vergessenen deutschsprachigen Dichtern aus belasteter Zeit. Als Lyriker wollte er erinnert sein, nicht als Bestseller-Romancier, der er auch war. Der späte Carossa bezeichnete ihn einmal als den einzigen Lichtblick am poetischen Horizont der Nachkriegszeit; und es gab Phasen, da sah man ihn mit Gottfried Benn auf einer Stufe. Wie auch immer, das „Ritornell“ wie das lyrische Gesamtwerk von der Vrings stellt einen einzigen Sprachklangkörper dar, einen orphischen Wortkörper, der betören, aber von den Versehrungen durch die Zeit nichts wirklich wissen wollte.

          „Dreifaches Ritornell“ von Georg von der Vring

          Wer Schilf belauschte,
          Vernahm Geschwirr von Silben, ganz undeutbar,
          Weil sie der Wind in einem fort vertauschte;

          So auch vertauschte
          Der Wind die Lettern in der fliehenden Halmwand,
          Und nie gelang’s zu lesen, was dort rauschte;

          Dagegen rauschte
          Ein Halm getuschten Schilfs auf dem Papiergrund
          Wie Versmusik, sooft ich las und lauschte.

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