Fragen Sie Reich-Ranicki : Welche Literatur empfiehlt sich für Liebende?
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Ein schwer zugänglicher Autor: Elias Canetti Bild: picture-alliance/ dpa
Stand Faulkner im Schatten Hemingways? Fand Canetti nicht die Anerkennung, die er verdient gehabt hätte? Welche Literatur empfiehlt sich für Liebende? Antworten von Marcel Reich-Ranicki.
Im deutschen Literaturbetrieb standen die Werke William Faulkners immer im Schatten Hemingways. Hat Faulkner dies wirklich verdient? Werner Richter, Weilburg
Reich-Ranicki: Wirklich immer? Ich bin nicht sicher, ob das stimmt. Und wenn es zutrifft, dann wohl deshalb, weil Hemingway leichter lesbar und viel populärer war und ist als Faulkner. Was für andere Gründe könnten hier in Betracht kommen?
Eine Frage drängt sich allerdings auf: Gesetzt den Fall, dass Faulkner im Schatten Hemingways steht oder aber Hemingway im Schatten Faulkners – ist das ein Unglück, wen stört das ernsthaft? Ich empfehle den einen Erzähler und den anderen, und jeder mag entscheiden, wer ihn mehr interessiert – und dann den Rest der Menschheit bitte in Ruhe lassen. Ich verfüge nicht über ein Instrument, mit dem sich feststellen oder gar messen ließe, wer in wessen Schatten steht. Noch einmal: Das sind zwei vorzügliche Romanciers und Geschichtenerzähler.
Trotz Nobelpreis hat Elias Canetti nie die Liebe eines großen Publikums erobert, war nie ein wirklich populärer Schriftsteller. Warum? Karl Simon, Hannover
Reich-Ranicki: Offenbar war und ist Canetti den deutschen Lesern ziemlich fremd. Die „Blendung“ ist kein leichtes Buch. Die autobiographischen Bücher waren erfolgreich, wurden aber tatsächlich nie sehr populär.
Wir sind ein Liebespaar und möchten uns gegenseitig gute Literatur vorlesen. Haben Sie eine Empfehlung? Katharina Schmitz, Berlin
Reich-Ranicki: Ich empfehle Ihnen den Band „Meine Geschichten von Johann Wolfgang von Goethe bis heute“, erschienen im Insel-Verlag. Aber es muss nicht unbedingt diese von mir herausgegebene Anthologie sein, es gibt auch andere, die gut und nützlich sind. In Dantes „Göttlicher Komödie“ heißt es in der Liebesszene (Francesca da Rimini und Paolo) an einer sehr wichtigen, einer berühmten Stelle: An diesem Tag lasen sie nicht weiter. Ja, warum denn nicht? Womit haben sie sich denn beschäftigt? Das müssen Sie schon selber bei Dante nachlesen. Jedenfalls ist das einer der Höhepunkte der Weltliteratur.
Übrigens: Fragen Sie doch Ihren Freund. Vielleicht wird er Ihnen sagen, dass Sie eine Schlafmütze sind. Wie auch immer: Große Literatur lenkt bisweilen und vorübergehend von der Literatur ab. Und beschert den Menschen viel Glück. Jetzt überlegen Sie sich mal, woran Dante und ich an dieser Stelle der „Göttlichen Komödie“ denken. Und viel Vergnügen.