Fragen Sie Reich-Ranicki : Von vorbildlicher Klarheit
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Sebastian Haffner, 1907 - 1999 Bild: dpa
Sebastian Haffner war einer der intelligentesten Menschen, denen Marcel Reich-Ranicki je begegnet ist. Als belehrend und sehr unterhaltsam lobt der Kritiker Haffners Werke - und einige Bücher ganz besonders.
Was halten Sie von den Büchern Sebastian Haffners? Sebastian Hirsch, Augsburg
Reich-Ranicki: Ab 1959 haben wir, meine Frau und ich, in Hamburg gelebt, wo wir mit der amüsanten Journalistin Christa Rotzoll befreundet waren. Ich habe sie sehr gern gehabt und geschätzt, zumal als Kritikerin. Sie schrieb meist über Bücher, die mich nicht interessierten: leichte Unterhaltungsware. Aber sie äußerte sich über diese Bücher geistreich. Die Rotzoll wohnte ziemlich weit entfernt, weshalb wir uns nur selten sehen konnten. Stattdessen telefonierten wir oft und lange. Die Gespräche mit ihr waren nie langweilig oder überflüssig.
Dank der Freundschaft mit der Rotzoll habe ich Sebastian Haffner näher kennengelernt. Bald telefonierte ich auch mit ihm ziemlich viel – und mit großem Gewinn. Um es gleich zu sagen: Er war ein sehr gebildeter Mann und einer der intelligentesten Menschen, denen ich begegnet bin. Wir hatten auch ähnliche, ja oft dieselben literarischen Neigungen – zu Fontane etwa, zu Thomas Mann. Ich habe von ihm viel gelernt, ich denke an ihn immer noch mit großer Dankbarkeit.
Für seine Bücher gilt dasselbe wie für die Gespräche mit ihm: Sie sind belehrend und sehr unterhaltsam, sie sind von vorbildlicher Klarheit. Das überraschte mich nicht: Deutsche Journalisten oder Historiker oder Germanisten, die im Exil in angelsächsischen Ländern lebten und dort für die Presse arbeiteten, schrieben auch nach ihrer Rückkehr anders als früher. Sie haben in England oder in den Vereinigten Staaten klarer, temperamentvoller, oft sachlicher geschrieben und auch witziger. Und es stellte sich heraus, dass dies auch im Deutschen möglich war.
Haffner war Jurist und lebte bis 1938 in Berlin. 1938 emigrierte er nach England. Übrigens: Er war, anders als oft vermutet wurde, nicht Jude. In Deutschland hatte er zu schreiben begonnen: zunächst Feuilletons, Glossen, Rezensionen. In England schickte er dem „Observer“ einen Kommentar und dann noch zwei weitere – über Deutschland im Jahre 1938 oder 1939. Sie wurden sofort gedruckt. Man bat ihn, in die Redaktion zu kommen, aber Haffner genierte sich, denn er konnte kaum Englisch sprechen. Die Redakteure des „Observer“ ließen sich nicht entmutigen. Haffner wurde gleich angestellt. Er verfasste Artikel über aktuelle zeitgeschichtliche Themen.
Mir ist sein Buch über Churchill besonders im Gedächtnis geblieben und ein kleines, dünnes Buch, ein Glanzstück der deutschen Publizistik, ein Meisterwerk, das zum Besten gehört, das über dieses Thema publiziert wurde. Der bescheidene Titel des Buches: „Anmerkungen zu Hitler“, erschienen 1978. Auch das Buch „Preußen ohne Legende“ sollte nicht vergessen werden. In seinem Nachlass – er starb 1999 – fand man seine Autobiographie („Geschichte eines Deutschen“), die ebenfalls sehr erfolgreich war.
Als man Marlene Dietrich fragte, warum sie emigriert war, antwortete sie knapp: „Aus Anstand.“ Als ich Haffner fragte, warum er nach England gegangen war, antwortete er auch sehr knapp: „Weil es mich ekelte.“