Fragen Sie Reich-Ranicki : Über Jakob Wassermann
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Jakob Wassermann Bild: picture-alliance / dpa
Er war ein radikaler Moralist mit einer Schwäche für billigen Pomp - Marcel Reich-Ranicki erklärt, warum das Interesse an Jakob Wassermann wieder erwacht ist. Und welches erschütternde Zeitdokument von diesem Autor stammt.
Was halten Sie von Jakob Wassermann?
Paul Samson, Berlin
Jakob Wassermann, in den zwanziger Jahren berühmt, ist heute fast vergessen. Warum?
Lothar Hölger, Fürth im Odenwald
Seit einiger Zeit häufen sich die Fragen nach dem Autor Jakob Wassermann. Das hat einen einfachen Grund: Das Urheberrecht schützt einen verstorbenen Schriftsteller siebzig Jahre lang. Dann ist sein Werk, wie man zu sagen pflegt, frei. Das heißt: Jeder Verlag kann es veröffentlichen, ohne Honorare zahlen zu müssen. Wassermann starb 1934. Da er Jude war, konnten seine Werke in Deutschland nicht mehr gedruckt werden. Nach 1945 schienen sie verblaßt und gerieten tatsächlich in Vergessenheit. Nun erlosch aber der urheberrechtliche Schutz im Jahre 2004. Seitdem sind einige Bücher von Wassermann neu erschienen und haben offensichtlich doch einiges Interesse erweckt.
In seinen Romanen (vor allem sind es „Caspar Hauser“, „Das Gänsemännchen“ und „Der Fall Maurizius“) zeigte Wassermann noble und stets von des Gedankens Blässe angekränkelte Menschen in ausweglosen und meist melodramatischen Situationen. Ihn faszinierten große Ideen und grelle Farben, tragische Konflikte und theatralische Effekte. Er liebte das Dämonische und das Dekorative, das Problematische und das Pikante. Doch niemals wurde die Leidenschaftlichkeit seiner Prosa angezweifelt, niemals sein Ernst bestritten.
Gewiß, er war ein radikaler Moralist, freilich mit einer Schwäche für billigen Pomp. Er war ein passionierter Psychologe mit dem Drang zur handfesten Kolportage. Sensationelle Stoffe mit rätselhaft-skurrilen Arabesken und pseudophilosophischem Tiefgang, spannende Geschichten mit metaphysischer Perspektive - dies etwa ist die Mischung, der Jakob Wassermann seine enorme Leserschaft verdankte. Zu seinem Erfolg hat seine Redseligkeit nicht wenig beigetragen. Er wurde vom Publikum geliebt, weil er ihm nichts vorenthalten und zugleich nichts abverlangt hat. Anspielungen und Andeutungen gibt es in seiner Prosa kaum, auf die Ironie, ohne die, sollte man meinen, kein Roman auskommen kann, verzichtet er fast immer.
Der suchende Intellektuelle und der weltfremde Künstler, der gütig-weise Kauz, der pedantisch-trockene Beamte, die unverstandene Ehefrau und die edle Sünderin, sie alle sind in ihrer Eigenart auf Anhieb erkennbare Gestalten. Dies erreicht Wassermann mit Hilfe vieler charakterisierender Nuancen und vielen psychologischen Details, die von seiner bewundernswerten Beobachtungsgabe zeugen. Vor allem: Er war ein höchst unterhaltsamer Fabulierer, der sich, leider, als Sittenprediger betätigen wollte.
In den meisten seiner Romane widmete Wassermann jüdischen Figuren und Milieus nicht wenig Platz. Doch welch bittere und schmerzhafte Rolle das Judentum im ganzen Leben des von der Gunst der deutschen Leserschaft verwöhnten Autors spielte, das wurde erst klar, als 1921 ein Buch erschien, das man gerade von Wassermann am wenigsten erwartet hatte - seine autobiographische Schrift „Mein Weg als Deutscher und Jude“.
Dieses Buch ist ein erschütterndes Zeitdokument, es ist Bekenntnis und Darstellung, Klage und Anklage in einem. Wassermann bekannte sich zu einer Bahn mit zwei Mittelpunkten: Er sei Deutscher und Jude zugleich - eines so sehr und so völlig wie das andere, keines ist vom anderen zu lösen. Damit ist schon gesagt, was Wassermann meinte, als er mehrfach, zumal gegen Ende seines Lebens, erklärte, er sei gescheitert.