Kochbuchkolumne „Esspapier“ : Salz auf den Glanz streuen
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Der die Dorade küsst: Steffen Henssler zeigt in einer Hamburger Fischhalle seine bisweilen seltsam anmutende Leidenschaft fürs Essbare. Bild: Picture-Alliance
Völlig verwürzt, üppig lackiert: Der Fernsehkoch Steffen Henssler spricht Jugendsprache, kocht aber ein Essen, das mit seinen starken Reizen eher für ältere Konsumenten geeignet ist.
Man kann mittlerweile die Existenz eines neuen Küchenstils konstatieren. Es ist die „Fernsehküche“. Ihre Rezepturen haben eine ganze Reihe von ziemlich eindeutigen Merkmalen. Ein wichtiges ist ihr Alter. Fast alle Rezepte wirken wie aus den achtziger oder neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, können aber auf Zuschauer, die keinerlei Vorstellung von moderner Küche haben, immer noch modern wirken. Sie sind „bunt“, spielen also mit vielen Elementen, die alle irgendwie zusammen passen, dies aber meist zu Lasten des Produktgeschmacks.
Besonders merkwürdig ist der aromatische Sektor, in dem es oft ausgesprochen überwürzt zugeht. Insofern scheint die Fernsehküche eine Küche für hyposensible oder ältere Zuschauer zu sein, von denen man weiß, dass sie in vielen Fällen intensivere Reize brauchen, um ein Essen gut zu finden. Außerdem spielt oft eine üppig-industrielle Optik eine Rolle, wie man sie von den Packungen von Fertiggerichten kennt. Die Liste der Merkmale ließe sich noch fortsetzen.
Nun also neues Altes von Steffen Henssler aus seiner Sendung „Grill den Henssler“, in der es – wie in vielen ähnlichen Formaten – um wettbewerbsähnliche Aktivitäten irgendwo im kulinarischen Niemandsland der TV-Unterhaltung geht. Warum daraus geradezu zwingend ein Buch werden muss, erklärt Henssler gleich zu Beginn. Zitat: „‚Mach doch mal ein Grill-den-Henssler-Buch‘, ‚Wo gibt’s Deine Rezepte aus Grill den Henssler?‘, ‚Der Kaiserschmarrn sah ja saulecker aus – sag mir sofort, wie Du den gemacht hast!‘ Diese und viele andere Sätze haben mir gezeigt, dass ein ‚Grill-den-Henssler-Buch’ her muss!“ Zitat Ende.
Seine Kundschaft schmeckt sowieso nicht so genau hin
Auch sonst herrscht der genretypische flotte Jugendsprech, der bei den meist vierzig-bis sechzigjährigen TV-Köchen (Henssler ist 43) eher irritiert. Das führt manchmal sogar zu bisher unbekannten Fachbegriffen wie dem „Highspeed-Abgießen“ (es geht um simples Abgießen durch ein Sieb) oder dem „Feueratem fürs Dessert“ (die kleinen Bunsenbrenner zum Karamellisieren, pardon, um Zucker „ratzfatz zur zarten Knusperkruste“ zu bringen). Es gibt ein paar Garzeiten und allerlei für die Show („Dynamisch ausgestrichene Pürees sind der Hingucker auf jedem Teller“), bevor es an die eher knapp und damit sehr ungenau beschriebenen Rezepte geht.
Es wird schnell klar, dass Henssler die Ansätze von guter Küche, die er als typischer Mittelklasse-Koch beherrscht, als Basis benutzt und dann erweitert – meist mit Elementen aktueller oder schon etwas älterer kulinarischer Moden. Die Rinderfilets bekommen Polenta und Balsamicosauce zur Begleitung, die Lammkoteletts eine Tomaten-Salsa und Lakritzsauce oder das Hähnchen Mojo Rojo und Spinatsalat. Nach „Pommes mit Schaschlik und scharfer Mango-Salsa“, dem „Bunten Wiesensalat mit Meeresfrüchten“ oder „Ratatouille mit Hähnchen und Garnelen“ verstärkt sich allerdings der Eindruck einer beliebigen Küche ohne Kontur. Es wird schon alles irgendwie „lecker“ schmecken, und eine Kundschaft, die so etwas sucht, schmeckt sowieso nicht so genau hin.