Kochbuchkolumne „Esspapier“ : Deutscher Wein und deutscher Drang
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Biene trifft Stich: Selbst Süßes bekommt bei Tim Raue eine sensible Neufassung. Bild: Callwey
So schmeckt der falsche Hase richtig gut: Paula Bosch und Tim Raue bringen nationales Kulturgut auf den Tisch, gelassen eingeschenkt und kühn optimiert.
Zuerst einmal möchte man Entwarnung geben. Der Titel dieses Buches ist keine Drohung, auch wenn er für den einen oder anderen Leser nach süßlichem Moselwein und schwerer, „gutbürgerlicher“ Küche klingen mag. Wir sind eben noch lange nicht so weit, dass unter „deutschem Wein“ die vielleicht differenzierteste Weinlandschaft der Welt und unter „deutscher Küche“ Gerichte gleicher Qualität wie in Frankreich oder Italien verstanden werden.
Die 59 Jahre alte Paula Bosch, von 1991 bis 2011 Sommelière im Münchner „Tantris“, ist die Grande Dame der deutschen Sommelerie. Der 41 Jahre alte Tim Raue hatte als echte Berliner Schnauze lange den Ruf eines Enfant terrible, ist mittlerweile aber einer der kreativsten Köche des Landes und baut sich langsam, aber sicher ein kulinarisches Imperium auf.
Das Buch besteht aus einem nach Regionen geordneten Weinteil und dem sensationellen Rezeptteil mit Rezepten aus dem Berliner Lokal „La Soupe Populaire“, wo Raue seine Version von deutscher Küche realisiert hat. Zunächst zum Wein. Unter der Überschrift „100 Winzer und ihre Weine“ präsentiert Frau Bosch ihre Auswahl der besten deutschen Weingüter und deren bester Weine. Die Beschränkung bringt es natürlich mit sich, dass Namen fehlen, die in manchen Wein-Führern für sehr wesentlich gehalten werden. Für die Ahr sind nur vier Weingüter verzeichnet. Im Detail kann dann natürlich auch nicht erwartet werden, dass alle wichtigen Weine vorkommen.
Das Interessanteste der europäischen Traditionsküchen
Den Angaben zu den einzelnen Weinen liegen weitgehend aktuelle Verkostungen zugrunde. Das Ganze wirkt übersichtlich, professionell und in positiver Weise unaufgeregt, die Empfehlungen sind allerdings hin und wieder auch stark von persönlichen Erlebnissen geprägt. Die Wertschätzung der deutschen Weine hat hier jedenfalls schon die Selbstverständlichkeit erreicht, die man aus anderen großen Weinländern kennt. Den Abschluss bildet eine Vorstellung der wichtigsten Rebsorten und der Aromen, die man in ihnen finden kann.
Dann kommt Raue mit seiner hervorragenden Interpretation deutscher Rezepte. Sie sind deshalb so gut, weil Raue – anders als seine Kollegen zu Zeiten von „Essen wie Gott in Deutschland“ – sich mehr um Optimierung als um Adaption probater Techniken und Geschmacksbilder der Spitzenküche kümmert. Da gibt es zum Beispiel eine völlig entschlackte Zwiebeltarte, eine klar und intensiv entwickelte Hühnersuppe, die nichts anderes als eine Hühnersuppe sein will, aber dann über minimale Veränderungen und eine gut entwickelte Sensorik erheblich an Qualität gewinnt.
Ähnliches gilt auch für eine Fassung der Königsberger Klopse, die man sofort als typisch identifiziert, um dann festzustellen, dass sie im Detail einen unglaublich guten Geschmack besitzen und in dieser Form zu den interessantesten Gerichten der europäischen Traditionsküchen gehören. Raue macht auch um jene Gerichte keinen Bogen, die normalerweise eher selten der Optimierung durch einen Koch von Rang unterzogen werden. Es gibt einen Krabbencocktail, Maultaschen, Solei, Bratwurst, Heringssalat, Rheinischen Sauerbraten und falschen Hasen.