Kochbuchkolumne „Esspapier“ : Kaisergranat im Spaghettiturban
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Seine Maßangaben und sein Blick fürs Detail waren immer die genauesten, wenn sie auch etwas aus der Mode gekommen sind. Joel Robuchon macht in einem neuen Buch Lust zum Nachkochen.
Joel Robuchon war einmal so etwas wie ein Küchengott – damals, als die ganze Kochwelt noch nach Frankreich blickte und intensiv darüber diskutierte, welcher französische Koch denn nun der allergrößte Meister sei.
Auch ich verdanke meine frühen Kochkenntnisse zu einem wesentlichen Teil Robuchon, der für seine außergewöhnliche Präzision bekannt war. Er beachtete viel mehr Details als seine Kollegen, so dass seine Ergebnisse mehr Finesse hatten. Wenn andere zum Beispiel „in Salzwasser“ garten, gab Robuchon an, wie viel Salz das Wasser haben müsse. Robuchon-Schüler (und von ihnen gibt es eine ganze Menge) zeichnen sich oft durch eine Kochtechnik aus, die auch bei einfacheren Produkten eine große Qualität erreicht.
In diesem Buch nun, das zur Reihe „Grand Livre de Cuisine“ von Alain Ducasse gehört, bekommt man Rezepte des Meisters aus einer Zeit bis zum Ende seiner ersten Phase als Koch vor fünfzehn Jahren. Anders als bei seinen früheren Büchern hat man sie um Step-by-Step-Fotografien ergänzt, die zwar nicht jeden Handgriff abbilden, aber sehr nützlich sind. Am Ende des Buches steht ein „Glossar der Produkte“ mit aufschlussreichen Informationen. Es gibt also ein Wiedersehen mit dem „Blumenkohlmousse mit Tomatencoulis“ und dem auch heute noch ziemlich modern aussehenden „Kaisergranat im Spaghettiturban“, ein meisterlich differenziert entwickeltes „Kalbskotelett mit Pilzen und Spargel“, Robuchons Variante von der „Taubenbrust mit Wirsing und Foie gras“ oder fast rustikal klingende, aber hochfein schmeckende Gerichte wie die „Schulter und Leber vom Kaninchen mit dicken Bohnen“, die deshalb so gut schmecken, weil der Koch jedes noch so kleine Element einzeln optimierend angeht.
Eine echte Umwälzung
Das alles ist wunderbar nützlich und für Privatköche wie Profis eine wesentliche Quelle für die klassische Küche. Gerade heute, da man den Eindruck haben kann, dass der eine oder andere jüngere Koch noch klassischen Nachholbedarf hat, sollte eine solche Quelle nicht vergessen werden. Aber ein paar Bemerkungen kann sich auch ein dankbarer Freund der Robuchon-Kochtechnik nicht verkneifen. Die Entwicklungen der Küche in den letzten fünfzehn Jahren erschöpfen sich eben nicht im Modischen, sondern bedeuten eine echte Umwälzung – nicht nur in technischen Fragen, sondern auch in der Kenntnis grundsätzlicher Zusammenhänge.
Bei Robuchon wird nach alter Art ständig gesalzen und gepfeffert. Dann gibt es Dekoratives (wie eine Runde kleiner Tupfer rund um einen Suppenteller), das kulinarisch ähnlich unwichtig ist wie manche Dekoration heute. Fisch wird fast ausschließlich kräftig in der Pfanne gebraten, also nicht nach den heute üblichen, schonenden Verfahren wie Dämpfen oder Vakuumgarung behandelt. Im Vergleich zu den vielen rohen Elementen heute überwiegt das Gegarte, und das Hauptanliegen der meisten Rezepte ist ein süffiger Mischgeschmack gegenüber oft sehr differenzierten und kontrastreichen Kompositionen bei aktuellen Meisterköchen. Die Summe: Die Geschmacksbilder in diesem Buch kommen aus einer anderen Zeit und wirken auch so. Die gesamte Produktpalette ist für heutige Verhältnisse traditionell, die häufige Arbeit mit viel Trüffeln, Foie gras und Kaviar ebenfalls, und auch Butter und Sahne verwendet Robuchon in größerer Menge als heute üblich. Das muss kein Makel sein.
Die Nachkochbarkeit der Rezepte ist meist wegen grammgenauer Angaben (zum Beispiel bei einer Vinaigrette) und detaillierter Erläuterungen sehr gut, wird aber nicht immer durchgehalten.
Joel Robuchon: Robuchon, Die Klassiker. Matthaes Verlag, Stuttgart 2011. 460 S., geb., 88,- Euro.
Dieses Buch erhält zwei F.A.Z.-Sterne
Kriterien für die Vergabe von F.A.Z.-Sternen für kulinarische Bücher:
Einen F.A.Z.-Stern erhält ein kulinarisches Werk, dessen Veröffentlichung sinnvoll ist und das einen klar erkennbaren, positiven Beitrag zur Entwicklung, Weitergabe, Erforschung oder Dokumentation der Kochkunst leistet. Durch seine Individualität oder seine spezifischen Schwerpunkte schließt das Buch eine Informationslücke oder erhebt sich mit der handwerklichen, ästhetischen oder wissenschaftlichen Qualität seines Inhaltes deutlich über die üblichen Standards.
Im Falle eines Kochbuches im engeren Sinne müssen die Rezepturen und ihre Erläuterungen guten professionellen Standards genügen und erkennbar das Bemühen zeigen, Nachkochbarkeit zu erreichen. Standardisierte oder unpräzise Angaben sind nur dann akzeptabel, wenn sie durch andere Qualitäten wie etwa Originalität aufgewogen werden.
Zwei F.A.Z.-Sterne erhält ein kulinarisches Werk, das über die Qualitäten eines mit einem Stern bewerteten Buches hinaus einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der Kochkunst leistet oder in seiner didaktischen Anlage hervorragend geeignet ist, vertiefende praktische Kenntnisse zu vermitteln - oder einen wesentlichen Beitrag zur Theorie des Faches leistet.
Es ist in dieser Kategorie wichtig, dass die Autoren erkennbar größere Zusammenhänge begreifen oder einen außergewöhnlich interessanten Beitrag zu Einzelaspekten leisten.
Drei F.A.Z.-Sterne erhält ein kulinarisches Werk von überragender Qualität, das zu den besten Büchern der letzten Jahre zählt und in jede gute kulinarische Bibliothek gehört. Das Buch muss in wesentlichen Teilen neue Inspirationen vermitteln, in hohem Maße originell sein, oder in besonders hohem Maße wesentliche Zusammenhänge erschließen.
Keinen Stern bekommen Bücher, die sich inhaltlich nicht oder nur unwesentlich von vielen vergleichbaren Büchern unterscheiden und/oder bei denen man den Eindruck gewinnt, es handele sich vorwiegend um Veröffentlichungen, die nicht primär an der Qualität des Buches und aam Fortschritt der Kochkunst orientiert sind. Dazu gehören zum Beispiel viele ausschließlich kommerziell orientierte Produkte zur Vermarktung von Prominenten aller Art, aber auch letztlich austauschbare Bücher bekannter und guter Köche, bei denen ein individuelles Profil nicht zu erkennen ist.