E-Books : Wir sind die Fährtenleser der neuen Literatur
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Lust und Frust ihrer Profession
Gerhard Köpf ist wie Stefan Beuse einer der etablierten Schriftsteller, die bei CulturBooks nicht nur exklusiv publizieren, sondern auch die Digitalkopien ihrer gesamten literarischen Werke herausbringen. Auch der Berliner Digitalverlag Mikrotext hat prominente Autoren im Programm: Franzobel, Thomas Klupp oder Moritz Rinke. Kürzlich hat dort Jan Fischer den Band „Irgendwas mit Schreiben – Diplomautoren im Beruf“ herausgegeben, in dem Absolventen der Hildesheimer und Leipziger Literaturinstitute auf vielfältige Weise Lust und Frust ihrer Profession darlegen. Die Mikrotext-Verlegerin Nikola Richter bevorzugt Kurzprosa, Essays, Reportagen und „Online-Literatur, die fürs E-Book aufbereitet wird“, wie zum Beispiel „Der klügste Mensch im Facebook – Statusmeldungen aus Syrien“, das umwerfend komische Debüt des vormals unbekannten Autors Aboud Saeed, der die literarischen Möglichkeiten digitaler Publikationen ironisch auslotet.
An digitalen Schreibweisen interessiert ist auch Hartmut Abendschein, Autor und Verleger der Berner Edition taberna kritika, einem „hybriden“ Independent-Verlag, der neben einer Printproduktion digitale Poesie, interaktive Hypertexte und literarische Weblogs von experimentellen Schriftstellern wie Alban Nikolai Herbst, Elisabeth Wandeler-Deck oder Stan Lafleur veröffentlicht. Auch vertritt der Verlag das Literaturlabel Litblogs.net, ein Portal für Autorenblogs mit eigenem Online-Magazin, das mit anderen literarisch ambitionierten Foren wie Urs Engelers Roughblog kooperiert und sich der „Beobachtung von und Beschäftigung mit Entwicklungen des literarischen Felds im Kontext kontinuierlicher Medienumbrüche“ widmet.
Neue liquide Literaturformen
In der Wissenschaftsreihe „Generator“ des Berliner Frohmann Verlags diskutiert man ebenfalls über „neue ästhetische Formen“. Ein Beispiel ist „Twitteratur“: ausgewählte Aphorismen in 140 Zeichen, die zuvor auf der Kommunikationsplattform Twitter gepostet worden sind. Stephan Porombka, Professor für Texttheorie und Textgestaltung an der Universität der Künste Berlin, vertritt im Nachwort zur Anthologie „Über 140 Zeichen“ mit von ihm herausgebenen Twitter-Werkstattberichten die Ansicht, dass der „rund ums Buch etablierte Literaturbegriff nicht mit dem Web 2.0 kompatibel ist“ und somit auch nicht mit den neuen liquiden Literaturformen, deren ästhetisches Programm das Leichtgewichtige, Beliebige, Flüchtige umfasse. Dennoch ist Twitteratur nicht nur inhaltlich, sondern auch formalästhetisch umstritten, da die im E-Book eingefrorenen Tweets dem interaktiven Social-Media-Geschehen entzogen sind, das sich im fortlaufenden Prozess vollzieht und nicht in feststehenden Ergebnissen.
Dass Twitteratur somit vielleicht genauso wenig nachhaltig sein könnte wie die verspielte Hyperfiction der neunziger Jahre oder die triviale SMS-Lyrik der frühen Millenniumszeit stört die Verlegerin Christiane Frohmann nicht. Sie unterscheidet zwischen dem „richtigen E-Book“, also der Digitalversion eines gedruckten Buches, und dem „falschen E-Book“, das sich dem Charakter des abgeschlossenen Kunstwerks verweigere und in immer neuen Versionen verfügbar sei.
Und doch lassen sich Twitterer gern zum „richtigen Buch“ verführen. So hat Anousch Müller, die 2012 im Frohmann Verlag mit dem reinen E-Book „Bescheiden, aber auch ein bisschen göttlich – Beflügelte Worte“ debütierte, mittlerweile bei C.H. Beck ihren ersten, gar nicht experimentellen Roman, „Brandstatt“, über eine thüringische Liebesgeschichte veröffentlicht. Er wurde vom Gros der Follower auf Twitter ignoriert, von Kritikern in Klagenfurt und anderswo negativ rezensiert, aber am Ende von der Jürgen-Ponto-Stiftung prämiert.