Die „Weiße Rose“ : Judenfeindliche Elite-Junkies
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Ihre Forderung: Freiheit. Hans und Sophie Scholl Bild: AP
Ein Historiker stellt die Idealisierung der „Weißen Rose“ um Hans und Sophie Scholl in Frage: Er unterstellt der Gruppe antidemokratische und antijüdische Vorstellungen. Seine Studie ist hochgradig spekulativ - und wirft dennoch interessante Fragen auf.
In Deutschland kann es ein moralischer Makel sein, im Dritten Reich Widerstand geleistet zu haben - dann nämlich, wenn der Betreffende aus vermeintlich falschen Gründen gegen den Nationalsozialismus opponierte. Die DDR-Führung ließ die Namen kommunistischer Antifaschisten in Gedenksteine meißeln, diskreditierte aber konservative NS-Gegner aus Bürgertum, Kirche, Adel und Militär. Im Westen war es bisweilen umgekehrt.
Heute, im vereinten Deutschland, wird des Attentats am 20. Juli 1944 zwar in offiziellen Feierstunden gedacht. Doch zumindest in linken und liberalen Milieus sind manche der Verschwörer aus der Wehrmacht als Militaristen, Antidemokraten oder gar Antisemiten gebrandmarkt. Solche Verschlagwortung kann sich auf den Fortschritt der Forschung berufen, die seit Jahrzehnten auf einer von Hans Mommsen vorgegebenen Linie bemüht ist, die Widerstandskämpfer in die Normalität der vom Nationalsozialismus kontaminierten deutschen Gesellschaft zurückzuholen. Mit dem wachsenden zeitlichen Abstand zu den Zwangslagen der Diktatur nehmen lebensfremde Fragestellungen überhand. So rückte unlängst ein Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte Henning von Tresckow ins Zwielicht, weil zwischen der Einsicht in die Untaten an der Ostfront und dem Entschluß zum Staatsstreich Zeit verging.
Flugblätter neu interpretiert
Nur wenige Ausnahmen taugen als moralische Vorbilder für alle politischen Lager. Dazu zählt die Weiße Rose. Zuletzt führte vor zwei Jahren Marc Rothemunds preisgekrönter Film „Sophie Scholl - die letzten Tage“ eine zivilcouragierte Musterheldin vor. Doch eine jüngst erschienene Studie mit dem Titel „Die ,Weiße Rose' war nur der Anfang“ stellt die Idealisierung der jungen NS-Gegner in Frage.
Sönke Zankel hat neue Quellen ausgewertet, insbesondere interviewte er zahlreiche Zeitzeugen und studierte Vernehmungsprotokolle der Gestapo, die erst seit der Öffnung der DDR-Archive allgemein zugänglich sind. Letztere verwendete auch Rothemund für seinen Film. Vor dem Hintergrund dieser Quellen interpretiert Zankel die Flugblätter der Studenten neu. Sein Buch basiert auf den Ergebnissen seiner noch unpublizierten Dissertation, die er in München bei Hans Günter Hockerts, einem dem konservativen Lager zugerechneten Historiker, angefertigt hat. Zankels kritische Enthüllungen folgen bekannten Mustern der deutschen Widerstandsdiskussion: Demnach hingen mehrere Mitglieder des „Scholl-Schmorell-Kreises“, wie Zankel die Gruppe nennt, antidemokratischen und antijüdischen Vorstellungen an.
Abscheu vor der Masse
Den ersten Vorwurf leitet der Autor unter anderem aus dem Namen „Weiße Rose“ ab, der auf den ersten vier von insgesamt sechs verbreiteten Flugblättern Verwendung fand. Der Kopf der Gruppe, Hans Scholl, habe dieses Symbol gewählt, weil er es dem verbannten Adel während der Französischen Revolution zuschrieb. Aus Abscheu vor der Masse, so argumentiert Zankel weiter, habe Scholl die größtenteils von ihm verfaßten Schriften zunächst an eine intellektuelle Elite adressiert, die anstelle der Nationalsozialisten die Herrschaft übernehmen sollte.
Auf dem zweiten Flugblatt der Weißen Rose wird die „bestialische Ermordung“ von dreihunderttausend polnischen Juden angeprangert. Zankel ordnet diese Passage Alxander Schmorell zu. Dort heißt es weiter: „Vielleicht sagt jemand, die Juden hätten ein solches Schicksal verdient; diese Behauptung wäre eine ungeheure Anmaßung; aber angenommen, es sagte jemand dies, wie stellt er sich dann zu der Tatsache, daß die gesamte polnische adelige Jugend vernichtet worden ist?“ Der Interpret folgert, daß Schmorell die Juden für minderwertig im Vergleich mit jenen Adeligen hielt. Als weiterer Beleg für angeblichen Antijudaismus dienen ihm Äußerungen Hans Scholls in der fünften Flugschrift: „Die gerechte Strafe rückt näher und näher! Deutsche! Wollt Ihr und Eure Kinder dasselbe Schicksal erleiden, das den Juden widerfahren ist? Sollen wir auf ewig das von aller Welt gehaßte und ausgestoßene Volk sein?“ Laut Zankel zeigen diese Sätze, daß Scholl das Schicksal der Juden als gerechte Strafe für die Kreuzigung Jesu ansah.
Schwülstiger, manierierter Stil