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„Der kleine Prinz“ gemeinfrei : Die Tränen der Rührung sind getrocknet

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Musste viel Kritik für ihre Übersetzung einstecken: Elisabeth Edl.
Musste viel Kritik für ihre Übersetzung einstecken: Elisabeth Edl. : Bild: Verlag

Nun brauchen Leser, denen die Sätze der Leitgebs heilig sind, eine neue Fassung ohnehin höchstens, um ihren Adrenalinspiegel anzukurbeln. Für alle anderen aber, zumal jene, bei denen Saint-Exupéry unter Kitschverdacht steht, bietet sich die Chance, das frühere Urteil zu überprüfen. Manche Übersetzungen, wie etwa die des Sängers und Autors Thomas Pigor bei Kein & Aber, versuchen bewusst, das Skurrile hervorzuheben, um das Süßliche des Textes zurückzudrängen. Ob das gelingt, indem man den Fuchs „Tach!“ sagen lässt und auch sonst einige Zeitgeistverrenkungen („Guck mit dem Herzen“) anstellt, ist definitiv Geschmackssache. Bei der Lesung von Bastian Pastewka werden Kinder aber auf jeden Fall zuhören.

Auch der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm ist spürbar um Reduktion des Lieblichen bemüht, ohne dafür indes einen anderen Aspekt des Buches herauszustellen. Seine für April angekündigte Übersetzung bringt eine ruhige Sachlichkeit, eine Art Selbstverständlichkeit in den Text. Das „Kerlchen“ ist bei ihm ein „Männchen“, die Sätze sind kürzer und prägnanter als in der Urfassung. Das sorgt für weniger Staunen und Wundern; schließlich haben Kinder heutzutage schon Seltsameres erlebt als Besucher von einem anderen Stern. Dies ist gewissermaßen die Fassung für Eltern, die ihrem Nachwuchs das Buch zwar im Bewusstsein des Uncoolen, aber doch aus Überzeugung in die Hand drücken. Schließlich kann man mit dem „Kleinen Prinzen“ nichts falsch machen.

Kindgerechte Unmittelbarkeit

Wenn einer das Buch tatsächlich aus der Gutmenschen-Ecke zurück in die Kinderregale befördern kann, so ist das Hans Magnus Enzensberger, von dem die lesbarste Neuübersetzung stammt. Angesprochen auf die überraschende Kombination zwischen ihm, dem großen Ironiker, und dem treuherzigen Helden Saint-Exupérys, hört man Enzensbergers verschmitztes Cheshire-Cat-Lächeln geradezu durch die Leitung schweben. „Ach, das war doch eine Sache für die linke Hand“, winkt er ab. „Im Allgemeinen ist es ja so, dass Übersetzungen schneller altern als die Originale. Deswegen kann man das ab und zu schon mal wieder machen.“ Der Kinderbuchton der fünfziger Jahre entsprach den Bedürfnissen der Nachkriegsgeneration, heute hat man es lieber lapidarer. Bei Enzensberger ist alles Raunende des Textes wie weggeblasen. Das spürt man nicht nur, aber eben auch bei den Kernsätzen. „Willst du mein Geheimnis hören? Es ist ganz einfach: Man begreift gar nichts, wenn das Herz nicht dabei ist.“ So ausgedrückt, wiegt der Ton endlich leichter als der Inhalt. Enzensberger schleicht nicht, wie die anderen, um die Erstübersetzung herum, sondern erschafft einen eigenen Assoziationsraum. Ihn habe es gereizt, die „gewisse Komik“, die der Text ja habe, zuzuspitzen, sagt Enzensberger. Nur so lasse sich das, nun ja, „Kindergärtnerinnenhafte“ dämpfen.

Um die kindgerechte Unmittelbarkeit zu erreichen, mit welcher der Erzähler bei Enzensberger zum Leser spricht, hat sich der Übersetzer durchaus Freiheiten vom französischen Original genommen. Dadurch ist man bei ihm dem Aufregenden, Bewegten des Buches näher als irgendwo sonst. Bei dtv beträgt die Startauflage optimistische 40 000 Exemplare. Enzensberger hat keine Erwartungen: „Das wirft man den Leuten mit Kindern jetzt mal hin, und dann können die damit machen, was sie wollen.“

Die unterschiedlichen Übersetzungen

Saint-Exupéry im Original:
„On ne voit bien qu’avec le coeur. L’essentiel est invisible pour les yeux.“

Erstübersetzung von Grete und Josef Leitgeb, Karl Rauch Verlag, 1950:
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

Elisabeth Edl, Karl Rauch Verlag, 2009:
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

Thomas Pigor, Kein & Aber/roofmusic, 2015:
„Guck mit dem Herzen. Was die Augen sehen, reicht nicht, um das, worauf es ankommt, zu verstehen.“

Ulrich Bossier, Reclam, 2015:
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

Peter Stamm, S. Fischer, 2015:
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wichtigste ist für die Augen unsichtbar.“

Hans Magnus Enzensberger, dtv, 2015:
„Man begreift gar nichts, wenn das Herz nicht dabei ist. Das, worauf es ankommt, ist mit bloßem Auge nicht zu sehen.“

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