Der Eckensitzer als Welttheaterfigur
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Geht es unspektakulärer? Geht es geschickter? Dagmar Leupold macht einen Garderobier zum Helden ihres Roman „Dagegen die Elefanten“.
Wer diesen Roman gelesen hat, der wird in Zukunft nicht mehr achtlos am Garderobier im Opernhaus oder Konzertsaal vorbeigehen. Er wird hinschauen und sich fragen, wer dieser Mensch ist, was ihn bewegt. Das nämlich hat die Schriftstellerin Dagmar Leupold getan und damit den Blick für das fast Unsichtbare geschärft. In ihrem Roman „Dagegen die Elefanten!“ hebt sie einen Mann, Herrn Harald, auf die große Bühne, die er niemals betreten hat. Er sitzt sein Leben lang in einem schwarzen Kittel und fein gebügelten weißen Hemd in der Operngarderobe, Balkon links, auf einem Schemel in der Ecke, trägt weiße Handschuhe wegen einer Schuppenflechte und ist flink zur Stelle, wenn Besucher ihre Mäntel und Jacken abgeben wollen.
Nun möchte man annehmen, der Roman führte uns ein Jahr lang in das Programm der Oper, gäbe musikalische Erlebnisse durch den Filter der geschlossenen Türen wieder, erzählte vom bunten Gemisch der Besucher und der noch schöner herausgeputzten Besucherinnen – aber keine dieser Erwartungen erfüllt die Autorin. Wir lernen mit Herrn Harald einen Menschen kennen, der nur auf sich selbst konzentriert ist; ob er eine Vorgeschichte hat, bleibt unbekannt, ob er die Musik liebt, weiß man nicht. Er ist hier und da und beobachtet von außen, sein Welttheater spielt sich in Selbstgesprächen im Kopf ab. Nur in seiner engen Ecke besitzt er ein persönliches Reich: Er hat ein kleines Radio, das leise eingeschaltet wird, wenn die Vorstellung begonnen hat, ein Italienisch-Lehrbuch liegt in der Schublade, um manchmal Vokabeln dieser Fremdsprache zu lernen, im Geiste führt Herr Harald manchmal ein Quiz mit sich selbst durch. Seine Gäste interessieren ihn nicht. Beflissen nimmt er Mäntel ab und gibt sie aus, für ein Gespräch bleibt keine Zeit. Warum führt uns Dagmar Leupold diese unscheinbare Person so intensiv vor?
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