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Christoph Ransmayr trifft Anselm Kiefer : Eure Engelsmusik, mein Kreissägenlärm

Dieses Rauschen da draußen: Anselm Kiefer lässt sich von Christoph Ransmayr inspirieren. Bild: Anselm Kiefer

Für seine Gedichte hat sich Christoph Ransmayr mit Anselm Kiefer zusammengetan. Das Lyrische mit dem Künstlerischen aufs Schönste verbindend, setzen die beiden der bröckelnden Welt etwas entgegen.

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          Die Frage „Was mache ich hier?“ ziert den Reisenden nicht erst, seit sie den Titel für Bruce Chatwins einschlägigen Essayband abgibt. Und ihre doppelte Bedeutung – verzweifelter Ausruf einerseits, Ausgangspunkt für nüchterne Antworten andererseits – lässt sie als Signum jener Abenteuer erscheinen, die sich nicht im touristischen Erleben exotischer Regionen erschöpfen, sondern reflektieren, was zwischen der erfahrenen Gegend und dem Reisenden geschieht und zuverlässig dessen Existenz berührt.

          Tilman Spreckelsen
          Redakteur im Feuilleton.

          Wer diese Frage stellt, der ist auch dem Impuls ganz nah, schleunigst den Rückzug anzutreten: „Genug! Genug. Eines Tages ist es genug. / Kauern wir unter wehenden Eisfahnen? / Liegen wir erschöpft unter dem Kreuz des Südens / in einer mond­losen Tropennacht? / Es ist genug. / So weit sind wir gegangen, / so hoch sind wir hinaufgestiegen, immer höher, / bis uns der nächste Schritt ins Blaue geführt hätte, / in die Wolken, nur noch ins Leere.“

          Ein Gipfel, zum Greifen nah

          So beginnt Christoph Ransmayrs „Ballade von der glücklichen Rückkehr“, und das Gedicht steht für eine ganze Reihe an­derer, die der Band „Unter einem Zuckerhimmel“ versammelt. Sie schildern Ex­peditionen, die den Reisenden an seine Grenzen bringen, erzählen vom beharr­lichen Kampf in unwirtlicher Umgebung und immer wieder davon, was es kostet, ein Ziel ins Auge zu fassen, um es zu erreichen: „Denn wie weit, unendlich weit, / ist selbst ein Gipfel in Sichtweite, ja Rufweite, / ein Gipfel zum Greifen nah!, / entfernt für einen, / der mit schwindender Kraft auf ihn zusteigt.“

          Christoph Ransmayr: „Unter einem Zuckerhimmel“.
          Christoph Ransmayr: „Unter einem Zuckerhimmel“. : Bild: S. Fischer

          Seit mehr als zwanzig Jahren betreibt der vielgereiste Autor Ransmayr sein Projekt „Spielformen des Erzählens“, mit dem er in loser Folge und exquisiter Ge­staltung auslotet, mit welchen Mitteln sich die Welt abbilden lässt. „Unter dem Zuckerhimmel“ ist der neueste Beitrag dazu. In der Vorrede erinnert sich Ransmayr an seine Kindheit, in der er die Erfahrung machte, dass „Verse und gesungene Strophen die vollendete Form einer Geschichte“ darstellten, schließlich hätten ihn viele Reisen gelehrt, dass die „un­zerstörbarsten“ Geschichten nicht schriftlich, sondern mündlich und gesungen überliefert würden. Das knüpft an eine Entwicklung der vergangenen Jahre an, die national (der Deutsche Buchpreis für Anne Webers „Annette“) und international (Anne Carsons „Rot“ und viele andere) die Form des Versepos und generell das Erzählen in gebundener Form neu entdeckt hat.

          Was das bedeutet, hatte Ransmayr bereits 2006 in seinem meisterlichen Ex­peditionsroman „Der fliegende Berg“ ge­zeigt und dabei etwa mit dem unvergesslichen Bild der aufsteigenden und gefroren herunterfallenden Schmetterlinge eine räumliche Struktur vorgegeben, die sich in den meisten Gedichten des neuen Bandes wiederfindet. Immer und immer neu geht es um den Weg nach oben, einen Weg, der auch durch die Luft noch weiterführt: „Auf höchste und heilige Berge sind wir gestiegen“ heißt es in der „Ballade von der glücklichen Rückkehr“, nur weil sie existierten: „Ach ja, sie standen im Weg / zwischen uns und der Ferne, / ach ja, und eine unsichtbare Linie / schien durch Gletscherabbrüche / und Kaskaden aus Stein / in die Höhe zu führen, weiter hinauf /ein Faden, nur für uns sichtbar / durch ein vertikales Labyrinth / ins Leere. / Unser Weg!“

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