Flirten ist sein Gebet
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Was kann uns eine schwächliche Fliege lehren? In seinen letzten Gedichten schließt Charles Simic von Kleinen aufs ganz Große.
Jetzt, da Charles Simic gestorben ist, scheint es, als seien seine jüngsten Gedichte von Vorahnungen durchzogen, als seien sie als eine Einübung in den Tod zu verstehen. So spricht das erste Gedicht im Band „Im Dunkeln gekritzelt“ davon, wie sich der Dichter jede Nacht mit Worten zudeckt – in „Erwartung des großen Schwamms“, der ihn, allen Worten zum Trotz, irgendwann auswischen wird.
Dichterischer Ruhm schützt nicht vor Sterblichkeit. Das weiß auch der Leichenbestatter mit seinem Butterbrötchen in der Hand, der in „Alle vom Dunkeln verschluckt“ auftaucht. „Fürchtet Charles Simic den Tod?“ heißt es schließlich, fast 150 Seiten später in „Nächtliches Quiz“ ganz explizit: „Ja, Charles Simic fürchtet den Tod. / Betet er zum Herrn da oben? / Nein, er schäkert mit seiner Frau.“ Simics letzte Gedichte haben nichts Trotziges an sich; er hadert nicht mit der eigenen Sterblichkeit und auch nicht mit Gott. Fragen der Metaphysik beschäftigen ihn seit seinem ersten Gedichtband von 1967. Nur sucht er die Antworten nicht in der Bibel, sondern auf den Straßen Manhattans: Das Brötchen des Leichenbestatters ist seine Hostie, das Flirten mit der eigenen Frau sein Gebet.
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