Kriminalroman : Hillbilly-Rhapsodie
- -Aktualisiert am
Hier wird gepumpt und gefrackt, dass kein Stein auf dem anderen bleibt. Am Ende bleibt Geld und ein verwüstetes Land. Bild: AFP
Selten kann ein Kriminaldebüt so überzeugen wie das von Tom Bouman: „Auf der Jagd“ führt ins rauhe Klima der Appalachen – zu Waffennarren, in Drogenküchen und ins verstockte Herz einer verlorenen Generation.
Sie „umgehen das Gesetz, sind gegen die Regierung und schlagen Profit aus dem, was das Land hergibt. Sie sind Holzdiebe, Wilderer und Einbrecher, strecken angeblich ihre Fühler in Richtung Drogenhandel aus und leben in dem Glauben, in einer immerwährenden ,Whiskey-Rebellion‘ gegen den Staat zu kämpfen.“ Sie, das ist der Clan der Stiobhards, Nachfahren irischer Einwanderer, die im Nordosten Pennsylvanias in den Appalachen siedeln. Recht und Gesetz interessieren sie also kaum, zumal wenn es in Gestalt des einzigen örtlichen Polizisten auftritt. Da sind sie nicht zimperlich. Dieser Officer Henry Farrell entstammt ebenfalls einer irischen Familie, den Fearghails, die ihren Namen jedoch amerikanisiert hat. Er ist noch jung an Jahren, aber schon übervoll an leidvoller Erfahrung: Er hat für die US-Streitkräfte in Somalia gekämpft; nach seiner Heimkehr fand er die große Liebe, aber seine Frau erlag einer rätselhaften, von Umweltgiften ausgelösten Krebserkrankung.
Deswegen ist der Einzelgänger zurückgekehrt nach Wild Thyme, wo er zur Ruhe kommen, sich der Hirschjagd und irischen Volksweisen auf der Fiddle widmen will. Aber weder Ruhe noch Frieden findet er in seiner alten Heimat. Das hat auch damit zu tun, dass das Gemeindegebiet auf der Marcellus-Formation liegt, einem riesigen Schiefergas-Vorkommen – „eine Menge Erdgas, schön eingepackt in Gesteinsschichten, wie ein Geschenk für Amerika“.
Das eigentliche Opfer ist die Landschaft
Und Amerika greift zu. Mit Fracking. Das zuckende Licht der Gasfackeln und der pausenlose Lärm der Bohrstellen bilden inmitten der finsteren Spätwinterwälder eine Kulisse, die dem Roman des Amerikaners Tom Bouman einen latent bedrohlichen Rahmen verleiht. Bouman arbeitete als Lektor in New York und zog mit seiner Frau aufs Land, als das erste Kind kam. Dass es sich bei dem vor drei Jahren erschienenen „Auf der Jagd“ (im Original: „Dry Bones in The Valley“) um sein Debüt handelt, ist kaum zu glauben – so sprachlich sorgfältig, atmosphärisch dicht und abgrundtief melancholisch gearbeitet ist dieses Buch.
Der Ars Vivendi Verlag aus dem fränkischen Cadolzburg hat einmal mehr sein Näschen für gute Kriminalliteratur bewiesen: „Auf der Jagd“ ist ein Krimi, der gewissermaßen aus dem Mutterboden hervorbricht, dem er entstammt – und dabei doch in einer ganz anderen Liga spielt als das Gros deutscher Regionalkrimis. Denn das erste eigentliche Opfer des Romans ist nicht die auftauende Leiche eines jungen Mannes, die auf dem Grundstück eines alten Sonderlings gefunden wird, sondern die Landschaft selbst. Die sumpfige Hügeldünung der Endless Mountains, recht eigentlich ein Mittelgebirge, holt sich gerade mit Sekundärwald einst bewirtschaftete Flächen zurück.
Doch in die neue Wildnis bricht der Mensch ein. Energiekonzerne roden und planieren, was das Zeug hält: Das Fracking stoppt die Armutsspirale aber nur scheinbar, denn mit seinem giftigen Abwasser schwemmt es Geldgier ans Tageslicht: Wer immer Land besitzt, verkauft es irgendwann gegen „Gasgeld“ an die Konzerne. Die Gegend verkommt weiter, weil sich Crystal-Meth-Küchen in den Wäldern verstecken und weil im Fahrwasser des Fracking-Booms mexikanische Drogenkartelle neue Kunden suchen.
Viel mehr als eine Milieustudie
Zwei Jahre vor J. D. Vances Memoiren „Hillbilly-Elegie“ konnte man also bei Bouman lesen, wie das Innenleben einer verlorenen Generation beschaffen ist, deren Vorfahren einst aus Irland, Schottland und England einwanderten. Verarmte, ungebildete, in Waffen vernarrte Weiße, die sich später als Trump-Wähler betätigten, kämpfen sich durch eine armselige Existenz, in Trailerhomes oder heruntergekommenen Bauernhöfen. Der Roman ist aber viel mehr als eine Milieustudie, die mit dem Schema „Einsamer Gesetzeshüter gegen den Rest der Welt“ zum Krimi umfrisiert wird. Boumans Protagonist beherrscht nicht nur Überlebenstechniken, er hat beim Fiddle-Spiel gelernt, dass Langsamkeit eine Tugend sein kann. Auch kennt er die Familiengeschichten der Einheimischen hinreichend, aber nicht gut genug, wie sich bald zeigt, als sein Deputy ermordet wird.
Zwei Mordermittlungen mit vollem körperlichen Einsatz verschleißen seine Kräfte, und doch ist er dem Sheriff und den State Troopers stets eine Nasenlänge voraus. Farrell weiß eben, dass die Karte nicht das Gelände ist, und auskennen tut er sich mit beidem: „Auf der Jagd heißt die Kardinaltugend ,Geduld‘. Man kundschaftet aus, man sucht die geeignetste Stelle, man wartet. Es kann Jahre dauern, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, wo eine solche sein könnte. Hat man sie aber gefunden und sich dort eingerichtet, der Hintern am Erdboden festgefroren und den Rücken an einen Baum gelehnt, absorbiert man den Lebensrhythmus der Weißwedelhirsche.“ Es wird ein Wiedersehen mit Henry Farrell geben, „Fateful Mornings“ erscheint Ende Juni. Das ist eine ausgesprochen gute Nachricht.