Globale Wirtschaftselite : Nesthocker mit kosmopolitischem Anstrich
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Geschäftsleute auf dem Mobile World Congress in Barcelona Bild: Picture-Alliance
Heute hier, morgen da? Die globale Wirtschaftselite ist erstaunlich bodenständig. Es gibt keinen Grund, ihr mit vorauseilendem Gehorsam zu begegnen, wie der Soziologe Michael Hartmann zeigt.
Aus den Ruinen des Kommunismus ist nach einer gängigen Erzählweise eine globale Wirtschaftselite erstanden, die, in Jakarta oder Philadelphia geboren, in Harvard und Oxford geschult und in aller Welt zu Hause, um den Globus jettet und ihre Dienste heute hier, morgen da anbietet. Seit dem „Ende der Geschichte“ (Fukuyama), heißt es weiter, werde ihr Aktionsradius auch nicht mehr von unterschiedlichen politischen Systemen beschränkt, und jeder Nationalstaat, der sich ihr in den Weg stellt, werde seine Ohnmacht erfahren.
Diese These kam vielen zupass: Banker rechtfertigten ihre Gehälter mit dem Druck weltweiter Konkurrenz; Politiker begründeten alternativlose Entscheidungen mit der Ohnmacht gegenüber der globalen Finanzwirtschaft; die linke Intelligenz kapitulierte vor einer verschworenen Plutokratie des Kapitals, und der Soziologe Ulrich Beck schuf mit großem Pinselstrich das Zeitgemälde einer nomadischen Businesselite, die uns heute schon zeigt, wie wir morgen leben werden. Als dann noch der indischstämmige Anshu Jain und danach der Brite John Cryan das Ruder der Deutschen Bank übernahmen, fand sich diese These aufs schönste bestätigt; die Herkunft von Dieter Zetsche oder Joe Kaeser geriet in Vergessenheit.
Gegen den Sog dieser abstrakten Klasse hat sich weltweit Widerstand formiert. Die britische Premierministerin Theresa May brachte ihn auf die griffige Formel: „Weltbürgertum ist Bürgertum im Nirgendwo.“ Womit sie recht hatte, denn Bürger zu sein heißt, sich auf eine institutionelle Ordnung und eine Öffentlichkeit zu beziehen, die sich im Weltmaßstab erst schemenhaft abzeichnen. Der globale Jetset lebt oft genug in einem Kokon: Die Vielfalt der Weltkulturen bildet sich in Flughafen-Wartesälen und Hotel-Lobbys zumindest nur sehr abstrakt ab. Das kosmopolitische Leitbild ist in der Praxis aber auch nicht die Sache derer, die es vertreten.
Ausländeranteil bei den CEOs der größten Unternehmen gering
Denn dieses Weltbürgertum gibt es nicht, zumindest nicht in den Führungsetagen der weltweit größten Unternehmen. Nach einem neuen Buch des Soziologen Michael Hartmann („Die globale Wirtschaftselite. Eine Legende“. Campus Verlag 2017) haben uns die Vertreter der Elite-These in die Irre geführt, indem sie ihre Belege einseitig aus der Zahl der ausländischen Aufsichtsratsmitglieder von Weltunternehmen schöpften, deren Anteil tatsächlich stark gestiegen ist.
Gefragt wurde aber nie, welchen Einfluss diese Personen auf die Unternehmen haben. Unterscheidet man dagegen wie Hartmann zwischen executive members, die in das operative Geschäft vor Ort eingebunden sind, und einfachen Mitgliedern, die nur wenige Male pro Jahr zu Sitzungen einfliegen, vor Ort Fremde bleiben und auf das Tagesgeschäft keinen Einfluss nehmen, dann ist das Ergebnis frappierend: Nur knapp ein Zehntel der CEOs der tausend weltgrößten Unternehmen sind Ausländer.
Überraschenderweise gilt das in gleichem Maße für die Finanzwirtschaft, das vermeintlich ortlose Söldnerheer. Bei den Aufsichtsratsvorsitzenden, der zweiten entscheidenden Machtposition in der Wirtschaft, ist der Ausländeranteil sogar noch geringer. Und von den tausend reichsten Menschen der Welt hat nur jeder zwölfte seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt. Milliardäre zieht es meistens erst nach dem geschäftlichen Rückzug aus steuerlichen Gründen in die Ferne. Während ihrer aktiven Zeit schätzen sie die Nähe zur Macht, die Kontakte zu Staat und Verwaltung, die ihnen lukrative Aufträge einbringen. Das beste Beispiel ist Russland, wo die Vergabe von Staatseigentum den Grundstein für den Aufstieg einer Oligarchenschicht legte. Nach dem Fall des Kommunismus wurde ihr Exodus vorausgesagt. Tatsächlich leben heute fast alle russischen Milliardäre in Moskau. Und selbst ein Steuersatz von 47 Prozent hat in der Milliardärsmetropole New York keine breite Kapitalflucht bewirkt.
Das Bild ist freilich heterogen: Die Schweiz liegt mit 72 Prozent ausländischen CEOs einsam an der Spitze, Deutschland mit fünfzehn Prozent noch auf einem achtbaren Rang. Länder wie Italien, Spanien und Russland haben gar keine Ausländer an der Spitze ihrer führenden Unternehmen, ebenso Japan und China, das in der Statistik in jeder Hinsicht ganz hinten liegt. Man wird nach der Lektüre von Hartmanns Buch auch nur noch mit Abstrichen an die Existenz einer kosmopolitischen Mentalität in diesen Kreisen glauben.