Theresia Enzensbergers Debüt : Diese Moderne ist gar nicht modern
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Die Siedlung Dessau-Törten wurde von Gropius mitgeplant. Sein Weggang vom Bauhaus hing mit ihr zusammen. Bild: Stiftung Bauhaus Dessau
Theresia Enzensberger erzählt in ihrem Debütroman „Blaupause“ von Anspruch und Wirklichkeit des Bauhauses. Ihre Erzählweise ist inhaltlich konsequent, aber schwer erträglich.
Es gibt einen Moment in diesem Roman, da lebt alles auf: „Ich höre Musik aus der Ferne. Die Ohren sind schneller als die Augen, aber in der Dunkelheit erkenne ich etwas Helles. Ich beschleunige meine Schritte, sie knirschen auf dem gefrorenen Schnee. Mir wächst ein riesiger leuchtender Würfel entgegen, der mitten in der Einöde steht. Das Licht, das durch die enorme Glasfassade nach außen dringt, blendet mich. Das Gebäude glänzt und schwebt, es ist durchsichtig und doch massiv. Es ist wie ein Fremdkörper, wie ein gleißendes Raumschiff, das sich sanft auf der Erde niedergelassen hat und jetzt in scharfgestochenem Kontrast aufrecht und weiß auf dem grauen schneebedeckten Boden thront.“ Alles an dieser Passage ist filmisch: Blickführung, Ausleuchtung, Inszenierung, ja selbst der Musikeinsatz. Es ist eine Heimkehr und doch auch eine erste Begegnung: Luise Schilling trifft am Bauhaus in Dessau ein. Es ist Anfang Dezember 1926.
Die junge Frau war auch schon in Weimar, am ersten Sitz des Bauhauses, gegen den Willen des Vaters, eines erfolgreichen Berliner Unternehmers, aber da es dort auch eine Webwerkstatt gibt, glaubte er die Tochter doch nicht ganz falsch aufgehoben. Immerhin mehr als zwei Jahre vergehen, bis der Vater die Geduld verliert, Luise das Schulgeld streicht und sie aus Weimar zurück nach Berlin beordert, wo sie eine Haushaltsschule besuchen soll. Ihr Traum von einer Architektinnenkarriere scheint ebenso geplatzt wie die Mitgliedschaft in der verschworenen Gemeinschaft der Bauhäusler und die Liebe zu dem brillanten Kommilitonen Jakob. Doch noch einmal drei Jahre später stirbt der Vater, und im familiären Ausnahmezustand, als die Mutter wieder zu sich selbst finden muss und der ältere Bruder die Geschäftsführung übernimmt, findet Luise den Mut, es ein zweites Mal am Bauhaus zu versuchen. In dessen Direktor Walter Gropius hat sie einen Mentor, den ihre autodidaktisch erstellten Architekturentwürfe schon bei der ersten Bewerbung überzeugt hatten. Neuer Ort, neues Glück.
Mut zur Unkonventionalität
Das sind die wichtigsten Ingredienzien des Romans „Blaupause“ von Theresia Enzensberger. Alles ist auf den ersten Blick richtig daran: das Thema pünktlich zum im nächsten Jahr anstehenden hundertsten Bauhaus-Jubiläum, die Ansiedelung der Handlung an beiden Standorten, die Emanzipationsgeschichte einer begabten Frau, die Auftritte von Prominenz in Gestalt der Bauhausmeister von Gropius über Hannes Meyer bis zum Mystiker Johannes Itten, dessen eingeschworene Schülerschar, die in ihrer Irrationalität so gar nicht in die Brutstätte der Moderne zu passen scheint, zum Faszinosum für Luise wird. Auf der ersten Seite des Buchs wird die Ich-Erzählerin die Itten-Schüler noch als „Kuttenträger“ verspotten, doch schon bald gehört sie selbst dazu.
Dieser Umschlag von Ablehnung in Anziehung geht schnell, sehr schnell, wie überhaupt alles sehr schnell geht in diesem Roman, der für sieben Jahre Handlungszeit gerade einmal 240 Seiten braucht. Und dann zum Schluss noch einmal sieben Seiten für rund vierzig weitere Jahre, das Leben von Luise nach dem Bauhaus, erzählt in Form von unchronologisch sortierten Dokumenten aus ihrem Nachlass – ein Bruch, so wie es auch am Ende der Weimarer Hälfte des Buchs jenen Brief des Vaters als Addendum gab, mit dem er Luise nach Berlin zurückzwang. Diese Einbeziehung von weiteren Stimmen neben jener der Ich-Erzählerin ist ein schöner Kunstgriff, doch er kommt jeweils viel zu spät, und er wird viel zu wenig eingesetzt. Was diesem Roman fehlt, ist gerade das, was das Bauhaus ausgemacht hat und was Luise daran bewundert: Mut zur Unkonventionalität.