Osteuropa-Roman : Im Bett mit dem Urbild
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Vernarbtes Pflaster: Straßenszene aus der tschetschenischen Hauptstadt Grosny Bild: AP
Der erste Roman der Russland-Kennerin Barbara Lehmann lässt eine deutsche Intellektuelle tief in die Wirren des russisch-tschetschenischen Konflikts geraten. Die feurige und stachlige Prosa zeichnet eine mitreißende Läuterungsgeschichte.
Das literarische Hauptverdienst der Journalistin und Osteuropa-Kennerin Barbara Lehmann lag bisher darin, dass sie die auch in ihrer russischen Heimat erst sehr verspätet ihrer Bedeutung gemäß gewürdigte Dichterin Alina Wituchnowskaja schon 2002 ins Deutsche übertragen und in einer Dumont-Ausgabe dem hiesigen Publikum eröffnet hat - und damit zugleich auch anderen Deutsch sprechenden Europäern. Jetzt brachte Barbara Lehmann ihren ersten Roman heraus, in dem sie einen reichen Schatz deutsch-russisch-tschetschenischer Erfahrungen verarbeitet, aufbereitet und ihren Leser tief eintauchen lässt in die Welt der Konflikte und Traumata der drei Kulturen.
Unter dem Buchtitel „Eine Liebe in Zeiten des Krieges“ verbirgt sich eine dramatische Reise durch die äußeren Kampfzonen, aber auch durch innere Abgründe von Schuld-, Einsamkeits- und Pflichtgefühl, bei der alle Sicherheiten und Schablonen westlicher Zivilisiertheit zu Bruch gehen. Dabei erweist sich die deutsche Autorin als geheime Seelenverwandte der Russin Wituchnowskaja, die mit der ganzen Welt im Kriegszustand lebt. Lehmanns Ich-Heldin spielt stets mit vollem psychophysischen Einsatz, sie urteilt messerscharf und ohne Rücksicht auf Verluste, besonders über die eigene Person.
Sehnsucht nach dem kriegerischen Mann
Wie bei der Moskauer Poetin im wirklichen Leben, so wird bei dieser Romanfigur der Generalprotest gegen die selbstgerechte Normalität ihrer Umwelt zum Antriebsmotor für ein extremes Schicksal. Die Charlottenburger Intellektuelle, die eigene Reize bewusst ausspielt, landet schon nach den ersten zehn Seiten im Bett eines ganz zufällig ihr über den Weg gelaufenen tschetschenischen Widerstandskämpfers. Sie gehöre zu jenen westlichen Frauen, die das Produkt ihrer eigenen Emanzipation, das kinderwagenschiebende Gender-Weichei, leid seien und das männliche Urbild, den Krieger, zurückhaben wollten, heißt es an einer Schlüsselstelle. Was sie freilich nicht davon abhält, ihrem von harten Kämpfen gezeichneten Liebhaber vorzuwerfen, er und seinesgleichen drehten nur die Gewaltspirale immer höher und hätten ihrer Heimat nichts zu bieten außer vorsintflutlichen Bräuchen und Moralvorstellungen. Doch als der schon verstoßene Freund in die Gefangenschaft moskautreuer Kadyrow-Einheiten gerät, reist sie ihm kurzentschlossen hinterher.
Lehmanns Prosa ist ausgesprochen weiblich und lyrisch, körperlich und feurig. Kaskaden von Ein-Wort- oder prädikatlosen Sätzen beschwören radikal subjektive Räume und Situationen. Wie jene halbzerschossene Wohnung einer oppositionellen tschetschenischen Journalistin in Grosnyj, der Exfrau des Vermissten, die der Deutschen Unterschlupf gewährt, ihr aber auch Strafpredigten hält über die westliche Gewaltkitschindustrie, die nicht reale Erfahrungen verarbeite, sondern die Langeweile der Saturierten bekämpfen wolle. Die mit großen Respekt gezeichnete Figur wird später Selbstmordattentäterin.
Stachlige Prosa
Oder das Heimatdorf von Tschetschenenchef Ramsan Kadyrow, wo nagelneue Säulenpaläste und Überwachungskameras die gefürchteten Folterkeller vergessen machen sollen und zugleich berechtigte Absturzängste der neuen Elite deutlich machen. Kadyrow selbst lernt man als urig schlagfertigen, instinktsicheren Prahlhans mit Vaterkomplex kennen. Immer wieder treten dem Erzähl-Ich aber auch Erinnerungen an die eigenen Eltern vor die Augen, ehemalige Weltkriegsflüchtlinge, die nach dem Mauerfall einen Neustart wagten, und, als ihnen die Schulden über den Kopf wuchsen, gemeinsam aus dem Leben schieden.
Die Autorin schneidert aus wirklichen Ereignissen und realen Personen eine mitreißende Bildungs- und Läuterungsgeschichte. Aus zeitgeschichtlichem Material verfertigt sie das glühende Gewand eines lebendigen Schicksals, das man sich bei der Lektüre anprobiert.
Wie Lehmann Personen durch deren körperliche Besonderheiten - eine Narbe, eine kaum vorstehende Oberlippe - charakterisiert, wie sie die Beredtheit des Verschweigens hörbar macht und übersetzt, was stumme Blicke sagen, das verrät Beobachtungsschärfe und ein an Tolstoi geschultes Stilgefühl. Die nur halbwegs autobiographische Heldin, die eifersüchtig sich mit anderen Frauen vergleicht und dank erstaunlicher Kickbox-Künste sich mehrmals aus akuter Bedrängnis retten kann, hat comichafte Züge. Dennoch bleibt ihr nichts erspart. Sie blamiert sich in Berlin durch alkoholisierte Anmache und in Grosnyj, indem sie durch weibliche Eitelkeit ihre Beschützer in zusätzliche Gefahr bringt. Am Ende nimmt sie bewusst Geiselhaft und Gruppenvergewaltigung auf sich, zum Abbüßen von Schuld und um der Rettung fremder Kinder willen. Umso erfreulicher, dass der Langen Müller Verlag mit seinem eher auf Verdaulichkeit getrimmten Lesefuttersortiment sich solch eines stachligen Stücks Literatur angenommen hat.