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Zum Tod von Gerhard Wolf : Ganz zufrieden in Christas Schatten

Gerhard Wolf (1928 bis 2022) Bild: AKG

Verleger, Essayist, Herausgeber: Zum Tod von Gerhard Wolf, dem Mentor der subversiven DDR-Literatur

          1 Min.

          Als der ostdeutsche Lyriker Bernd Wagner zum ersten Mal das Haus von Gerhard und Christa Wolf betrat, zeigte er den Gast­gebern seine Gedichte. Gerhard Wolf widmete sich den Texten voller Interesse, dann markierte er diejenigen, die er für gut genug hielt, mit einem Kreuz, wie um zu zeigen, dass es hier nicht um einen Besuch ginge – er sollte auch ein Ergebnis haben, die Gedichte hatten bestanden.

          Tilman Spreckelsen
          Redakteur im Feuilleton.

          Mit einem solchen Erlebnis war Wagner nicht allein. Wolf, über den sein Schwiegersohn Jan Faktor kürzlich sagte, er könne „schlecht, sogar sehr schlecht loben“, wurde vor 1989 zum Mentor zahlreicher Schriftsteller, die es in der DDR schwer hatten, und nach der Wende für solche, die sich in der Bundesrepublik am Rand des Literaturbetriebs bewegten. Persönlich zurückhaltend und voller Respekt für sein Gegenüber, ein „Förderer der subversiven Literatur“, wie Kurt Drawert ihn nannte, stand er öffentlich im Schatten seiner Frau und war wohl äußerst zufrieden mit dieser Rolle.

          Wolf, geboren 1928 in Bad Frankenhausen, musste gegen Ende des Kriegs noch kämpfen und geriet in Gefangenschaft. Er arbeitete als Lehrer, studierte Germanistik und Geschichte in Halle und wurde später Lektor im Mitteldeutschen Verlag. Im Waggonwerk Ammendorf in Halle leiteten Christa und Gerhard Wolf, verheiratet seit 1951, einen Zirkel schreibender Arbeiter, Christa Wolf schrieb „Der geteilte Himmel“, und der befreundete Maler Willi Sitte schuf Illustrationen dazu. Gerhard Wolfs Interesse an bildender Kunst war groß, sein Urteil sicher und gefragt. Freundschaften mit anderen un­terhielten die Wolfs oft gemeinsam, bisweilen aber war es an Gerhard Wolf, einen Kontakt aufrechtzuerhalten, den seine Frau nicht pflegen wollte. Sie protestierten gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns, nutzten den Spielraum, den ihnen die Popularität Christa Wolfs verschaffte, aber blieben skeptisch auch gegenüber den Umständen, unter denen die Wiedervereinigung vollzogen wurde.

          Gerhard Wolf verfasste Lyrik und Prosa, Reden, Nachworte und Essays, zusammen mit Christa Wolf schrieb er Drehbücher für die DEFA. Gemeinsam mit Günter de Bruyn wies er in der Reihe „Märkischer Dichtergarten“ nachdrücklich auf vergessene Autoren des achtzehnten bis zwanzigsten Jahrhunderts hin. Und gründete nach der Wende seinen eigenen Verlag, die feine Janus Press.

          Christa Wolf starb 2011. Ihr Witwer blieb im gemeinsamen Haus. 2020 er­schien sein Sammelband mit dem passenden Titel „Herzenssache“, der eine Reihe der klugen, diskreten und mitunter trotzdem werbenden Essays enthält – ganz so unfähig zum Loben war er nicht. Am gestrigen Dienstag ist Gerhard Wolf ge­storben.

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