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Zum Tod der Dichterin Helga M. Novak : Kaum je ein Zugehörigkeitsglück

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Helga M. Novak, 8. September 1935 bis 24. Dezember 2013. Unser Foto zeigt die junge Dichterin im Jahr 1971 Bild: picture-alliance / dpa

Zu Unrecht gehört sie zu den weniger bekannten Autoren Deutschlands. Ihr Revier war die Spreewelt rund um Erkner. Deren herber Glanz findet sich in ihren schönsten Gedichten. Nun ist Helga M. Novak „äußerster Gewalt“ gewichen. Ein Nachruf.

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          Geboren in Köpenick, aufgewachsen in Erkner, gestorben in Rüdersdorf – das klingt nach den Eckdaten eines beschaulichen Lebens. Tatsächlich aber ist keine dieser mit biographischen Brüchen geschlagenen Generation der jetzt Ende Siebzigjährigen so sehr umhergetrieben worden wie die Dichterin Helga M. Novak, die erst in den letzten Jahren, bedingt durch Alter und Krankheit, zu einer fragilen Ruhe gefunden zu haben schien.

          Eine wie sie wird es nicht wieder geben, schon deshalb nicht, weil sich die Bedingungen, die sie hervorgebracht haben, nicht wiederholen werden. Dafür brauchte es, neben der enormen Begabung, einen Geburtsort am südöstlichen Rand von Berlin, da, wo die Stadt in die Mark übergeht und sich mit ihren Seen und Kiefernwäldern tief in die Seele einbrennt, so dass er für die von dort Vertriebenen ein Leben lang Sehnsuchtsort bleibt; brauchte es eine Kindheit im zu Ende gehenden Zweiten Weltkrieg, Bombenhagel und brennende Schulen, brauchte es die mit Neugier durchsetzte Angst vor den mit Panzern und Panjewagen in die Stadt einrückenden Soldaten der eben noch bei den Seelower Höhen kämpfenden und vor Hass auf alles Deutsche glühenden Sowjetarmee.

          Dazu brauchte es zwei aufeinanderfolgende Diktaturen, wobei die zweite eine Weile als Überwindung des die erste hervorbringenden Gesellschaftssystems missverstanden werden kann, so dass Wut und Scham umso größer sind, wenn man erkennen muss, einer Chimäre aufgesessen zu sein, einer Täuschung, einem Fremd- und Selbstbetrug; und brauchte es nicht zuletzt das Unglück der unehelichen Geburt und die niemals heilende Wunde, die durch die Freigabe zur Adoption geschlagen wurde.

          Einige der Geheimnisse hat sie noch aufgeklärt

          Wie wenig Helga M. Novak über ihre Abkunft wusste, wie verzweifelt sie etwas darüber zu erfahren versuchte und wie vergeblich diese Anstrengung blieb (so dass immer etwas Irrlichterndes in ihrem Reden darüber war), lässt sich im ersten ihrer drei großen autobiographischen Bücher, „Die Eisheiligen“, nachlesen, aber auch, verklausulierter, immer wieder in den Gedichten: „Ich bin eine Brut, die in anderem Nest wuchs.“ Dass auch Mystifikation dabei war, erfährt man im gerade erschienenen dritten Band ihrer autobiographischen Bücher, „Im Schwanenhals“, in dem sie, ohne dass das Unglück damit geringer würde, einige der Geheimnisse aufklärt.

          Dass sie im alten Westen nicht so bekannt ist, wie sie es hätte sein können, oder so, wie ihre Freundin Sarah Kirsch es war, hat wohl seinen Grund darin, dass sie sich immer wieder entzog. Mit fünfzehn meldete sie sich selbst auf einem Internat an, das zugleich Kaderschule war. Einer lupenreinen DDR-Karriere hätte nichts mehr im Weg gestanden, wäre das trotzige Kind nicht mit jener scharfen Beobachtungsgabe geschlagen gewesen, die es den Widerspruch zwischen Propaganda und Wirklichkeit rasch erkennen und bald auch spitzzüngig kommentieren ließ.

          Wer wissen möchte, wie junge Menschen, die nach der Erfahrung mit dem Nazifaschismus ihre Hoffnung auf den Sozialismus setzten, die ersten DDR-Jahre erlebten, lese „Vogel Federlos“, das zweite ihrer autobiographischen Bücher, das eine solche Fülle von Material enthält, dass ich mich beim Wiederlesen fragte, wie es ihr gelungen ist, alles das über die Zeit zu retten. Parteitagsbeschlüsse, Lehrpläne, Auszüge aus Zeitungen, Reden und Flugblättern, alles hat Eingang in dieses verrückte Buch gefunden.

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