Sachbuch „Talkshows hassen“ : Ich habe Sie auch ausreden lassen!
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Anne Will diskutierte in ihrer Sendung am 8.12.2019 mit ihren Gästen über die Frage: „Die SPD rückt nach links – wohin rückt die Koalition?“ Bild: NDR/Wolfgang Borrs
Oliver Weber hat eine Polemik über die Talkshows im Fernsehen geschrieben. Sein Blick auf die Strategie der AfD fördert Einleuchtendes zutage. Die Generalkritik an den Sendungen aber ist wohlfeil und dürftig.
Wenn die in Konventionen erstarrten Talkshows im deutschen Fernsehen etwas bewirkt haben, dann eine fast immer zutreffende Talkshow-Kritik. Insofern lässt sich auch Oliver Webers kleiner Polemik, die nicht mit neuen Ein- oder Aussichten überrascht – ein Kreis von Dauergästen spielt allwöchentlich Debatten vor, die Krisen suggerieren, aber steifer Rollenlogik folgen –, „Wiederkehr des Immergleichen“ vorhalten, zumal auch den übrigen Argumenten ein gewisser Bumerangeffekt zu eigen ist.
So ließe sich schon die Inhaftnahme der in parteipolitischer Rhetorik versandeten Shows für die Entstehung von „Ressentiments“ gegen die Politik als provokative Zuspitzung auffassen, ganz sicher aber der titelgebende „Hass“ als empfohlene Haltung. Das doch etwas simple Verfallsnarrativ – in der Weimarer Republik, unter den Alliierten und in der jungen Bundesrepublik seien noch echte Mediendebatten mit offenem Ausgang möglich gewesen – darf seinerseits wohl „Framing“ genannt werden. Und der sicher richtige Vorwurf, „Anne Will“, „Hart aber fair“ und so fort steckten in der nationalen Perspektive fest, trifft ebenfalls den Autor selbst. Dabei wäre es spannend gewesen, der deutschen Talkshow etwa die andere Herangehensweise der BBC entgegenzustellen, die gegen die Polarisierung der Gesellschaft freilich auch nichts ausrichten konnte.
In einer Hinsicht hat das Büchlein aber durchaus Erkenntniswert, denn es führt vor Augen, wie wenig sich Redaktionen der eigenen politischen Rolle qua „Agenda-Setting“ bewusst zu sein scheinen. So vertreten unsere Talkmasterinnen und Talkmaster in mehreren zitierten Gesprächen die naive Ansicht, lediglich abzubilden, was „die Menschen im Land bewegt“. Im interessantesten Kapitel zeichnet der Autor detailliert nach, wie die Alternative für Deutschland über ihre verschiedenen Phasen hinweg das Format Talkshow für sich zu instrumentalisieren wusste.
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Zum PodcastDass Talkshows gegen Rechtspopulismus so wehrlos scheinen, hat laut Weber mit einer strukturellen Verwandtschaft in Bezug auf Mobilisierung und Debattenlogik zu tun: „Was die Menschen im Land bewegt“, gehört in der Tat heute zur Legitimationsrhetorik von Parteien wie der AfD. Allerdings sind Talkshows sicher nicht die einzigen Medien, die auf Quote durch Eskalation setzen. Und sicher nicht die schlimmsten.
Die Kritik ist damit so wohlfeil wie zeitgeistgemäß. Das zeigt die soeben erfolgte Vergabe des Negativpreises „Goldene Kartoffel“ an die vier großen Talkshows von ARD und ZDF durch den Verein Neue deutsche Medienmacher*innen. Anders als die Preisverleiher und manche Kommentatoren möchte der Autor, ein Student der Politikwissenschaft, die Talkshows aber nicht ersatzlos abgeschafft sehen, sondern er hofft auf eine Show, „die mit einem anspruchsvollen Konzept überrascht“, „ganz neue Gäste rekrutiert“ und die Meinungsbildung wieder als fluiden Prozess begreift. Das bleibt jedoch derart dünn, dass man es nicht einmal einen Gegenvorschlag nennen möchte. Es zeigt sich wohl lediglich, wie wenig sinnvoll polemische Formate-Kritik ist, die auf jede Einbindung in eine umfassende Medien- und Diskursanalyse verzichtet.
Oliver Weber: Talkshows hassen. Ein letztes Krisengespräch. Tropen Verlag, Stuttgart 2019. 156 S., br., 12,- [Euro].