Zum Hundertsten Franz Fühmanns : Der Eremit von Märkisch-Buchholz
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„Das Schicksal hat mich dermaßen an Verlage verzettelt, dass ich mich mit meinem Werk wie zerstückelt fühle“: Franz Fühmann. Bild: Isolde Ohlbaum/laif
Er war ein Schriftsteller, der standhielt in der DDR und den Weg bereitete für die jungen Autoren: Eine Erinnerung seines westdeutschen Lektors an den unbeugsamen Franz Fühmann, der vor hundert Jahren geboren wurde.
Es muss kurz nach der Wende gewesen sein, dass mich in Frankfurt ein Anruf von Klaus Schlesinger erreichte, in dem er mich und Wilfried F. Schoeller bat, nach Berlin zu kommen. Schlesinger schlug vor, sich gemeinsam mit Uwe Kolbe in einem kleinen Ort in der Mark Brandenburg zu treffen; dort sollte auf Initiative einer Lehrerin eine Grundschule den Namen „Franz Fühmann“ erhalten, was aber auf Unverständnis und Ablehnung stieß, da einige Bürger der Ansicht waren, Fühmann sei Kommunist und Mitglied der SED gewesen. War Fühmann schon so vergessen? Oder war es einfach Unkenntnis in den Wirren des Umbruchs einer Zeit, in der auch interessenbedingte Desinformation zur Tagesordnung gehörte? Es war ein düsterer Tag, und es fing an zu schneien. Ich erinnere mich nicht mehr an Details der öffentlichen Diskussion, aber wir vier, die beiden DDR-Autoren und die beiden westdeutschen Literaturkritiker, konnten mit dazu beitragen, die Verwirrungen zu klären: Die Schule bekam den Namen Franz Fühmanns.
Gut anderthalb Jahrzehnte später, vor Kurzem Bürger Berlins geworden, beschloss ich, Fühmanns Grab in Märkisch-Buchholz zu besuchen. Würde ich den Ort wiederfinden mit Fühmanns Grabspruch an die junge Autorengeneration und der Aufforderung, nach der Wahrheit zu suchen in einem Staat DDR, den es jetzt nicht mehr gab? Auf dem Friedhof zunächst Ratlosigkeit. Da kam uns ein älteres Paar entgegen: „Wissen Sie zufällig, wo das Grab des Schriftstellers Franz Fühmann zu finden ist?“ „Ach, der Franz, der liegt gleich dahinten“, entgegnete der Mann, der offensichtlich mein überraschtes Gesicht zum Anlass nahm, zu erzählen, dass er Fühmann gekannt und geduzt habe und jetzt zu dem Franz-Fühmann-Freundeskreis im Ort gehöre, wo es auch eine Fühmann-Begegnungsstätte gebe. „Wir Älteren müssen hier zusammenstehen, die Jugend ist ja weggelaufen, die renovierte Schule musste geschlossen werden, da man mehr Computer als Schüler gezählt hatte.“
Bücher, so weit das Auge blickt
Wenige Jahre nach der Wende war ich schon einmal an Fühmanns Grab gewesen – mit Jan Philipp Reemtsma und seinem Hamburger Anwalt und homme de lettres Joachim Kersten. Reemtsma hatte kurzerhand ein Taxi am Bahnhof Zoo nach Märkisch-Buchholz geordert, um mit uns Fühmanns Ruhestätte und dessen Schaffensklause zu besuchen, die von einem Westler abgerissen zu werden drohte. Als wir endlich auf Fühmanns Grundstück standen und die Szenerie betrachteten, sagten Kersten und Reemtsma wie aus einem Mund: „Das ist ja wie bei Arno Schmidt in der Heide.“ Neben dem Häuschen in einem garagenartigen Container ein Klapptisch, primitive Bestuhlung und graue Matten am Boden, wahrscheinlich um die Füße etwas zu wärmen. Ein spartanisch anmutender, trostloser Anblick.
In meinem Kopf tauchten Bilder von Fühmanns riesiger Berliner Wohnung am Strausberger Platz auf, in der er nie länger als ein paar Stunden verweilte. Sie war ihm wohl mehr Ort einer gewaltigen Bibliothek als Wohnstätte. „Mein Vater hat Bücher sogar in unserem Kühlschrank gestapelt“, erklärte Fühmanns Tochter, die nach der Wende noch eine Zeit lang dort gewohnt hatte. Die Bibliothek ihres Vaters übernahm schließlich die Akademie der Künste.