Dichter Uwe Grüning : Stiller Hochmeister
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Uwe Grüning Bild: Geert Maciejewski
Ein Lyriker von größter Strenge, ein Nachdichter von enormer Präzision, ein Romancier voller Sympathie für Oblomow, zugleich ein kenntnisreicher Politiker: Uwe Grüning wird achtzig Jahre alt.
Zu Manifesten hält Uwe Grüning wie zu allen Posen des Ehrgeizes, die sich lüstern nach Bewunderung umsehen, Distanz. Das hat ihn nicht an entschiedener Selbstbestimmung in seiner Lyrik gehindert: „Wir wollen nicht, daß man uns nachfolgt. / Wir dulden / keine Jünger um uns, wir dulden nur Menschen. / Unsere Irrfahrt gilt einer nicht von den Dingen bezwungenen Sprache“, heißt es in seinem zweiten Lyrikband „Spiegelungen“. Und weiter: „Wir werden / nicht von den Bergen schreiben / und nicht vom Abbild der Berge. / Wir werden vom Menschen nicht schreiben und auch nicht / vom Spiegelbild dieses Menschen, / sondern von seinem / durch nichts gespiegelten Bild“. Hier wird – 1981, mitten in der DDR – leise, aber unnachgiebig eine Sprache verteidigt, die sich keinen politischen Forderungen nach „Widerspiegelung der Wirklichkeit“ unterwirft.
Grünings Strenge der dichterischen Sprache hat mindestens zwei Wurzeln. Zum einen ist er – an diesem Sonntag vor achtzig Jahren, am 16. Januar 1942, in Pabianice bei Łódż geboren – studierter Fertigungstechniker, ein Wissenschaftler und Ingenieur im akademischen Dienst gewesen. Zum anderen gewann er durch die Bekanntschaft mit Erich Arendt auch Peter Huchel zum Lehrmeister im Schreiben. Huchel habe mit ihm, „in unendlicher Geduld“, wie Grüning einmal erzählte, jahrelang an seinen Gedichten gefeilt, bevor er 1971 in den Westen ging und Arendt das Haus in Wilhelmshorst überließ.
Vierfacher Schriftsinn
Schon Grünings erster Lyrikband „Fahrtmorgen im Dezember“, 1977 erschienen und ein bibliophiles Kunstwerk durch die Holzschnitte von Valentin Rothmaler, forderte die Leser durch Verse, die von der Konkretion der Anschauung immerfort in den Dialog mit der Bibel wie mit anderen Kunstwerken treten. In seinen späteren Bänden mit Prosaminiaturen wie „Laubgehölz im November“ und „Unzeitige Heimkehr“ hat Grüning diese alte Technik des vierfachen Schriftsinns perfektioniert und kann noch aus der peniblen Beschreibung von genau klassifizierten Gräsern in der Landschaft zu allegorischen, moralischen, gar anagogischen Betrachtungen kommen.
Seine Begabung zur Präzision hat ihn zu einem Nachdichter von Rang werden lassen. Grünings Übertragungen der Verse von Anna Achmatowa und Ossip Mandelstam muss man denen von Ralph Dutli an die Seite stellen. Seine Nachdichtungen von Afanassi Fet und Fjodor Tjutschew sind unübertrefflich. Nie ist es einem Lyriker derart hochmeisterlich gelungen, Verse aus einer fremden Sprache in die eigene zu übertragen und dabei oft Metrum, Reimschema, Wortpositionen und Vokalkadenzen innerhalb phonetischer Klangmalerei zu wahren. Gemeinsam mit seiner Frau, der Theologin Barbara Grüning, assistierte er auch Ludvík Kundera bei der Herausgabe der Anthologie „Die Sonnenuhr. Tschechische Lyrik aus elf Jahrhunderten“.
Grünings erster Roman „Auf der Wyborger Seite“ porträtiert einen Bibliothekar, der eine Romanze mit einer verheiraten Frau verwelken lässt, ohne sich zum Leben mit ihr zu entschließen. Schon der Titel spielt auf Iwan Gontscharows Roman „Oblomow“ an, mit dem der Hauptheld offen sympathisiert. Auch der Wissenschaftler in der dystopischen Erzählung „Die Hecke“, in welcher das titelgebende Gewächs ein ganzes Dorf überwuchert und alles Leben erstickt, ist in seiner heiter-resignativen Tatenunlust eine Oblomow-Figur.
Grüning selbst freilich ist es nicht: Er ging 1990 für die CDU in die Politik, war zuletzt wissenschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Sächsischen Landtag, Vorsitzender des Rundfunkbeirates der fünf neuen Bundesländer und Präsident der sächsischen Landesmedienanstalt in Leipzig. Er vermeidet es bis heute, als Dichter Politik wie als Politiker Kunst zu machen – aus erfahrungssattem Respekt für beide.