Sibylle Lewitscharoff im Gespräch : Darf ich nicht sagen, was ich denke?
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Sibylle Lewitscharoff Bild: Marcus Kaufhold
Die Büchnerpreisträgerin Sibylle Lewitscharoff hat die Reproduktionsmedizin in einer Rede für „abartig“ erklärt und bezeichnet Retortenkinder als „Halbwesen“. Wir haben nachgefragt, wie sie das genau meint.
Sie haben Kinder, die unter Zuhilfenahme der modernen Reproduktionsmedizin zur Welt gekommen sind, als „Halbwesen“ bezeichnet, als „zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas“. Sind Sie jemals einem Kind begegnet, dem sein Leben durch künstliche Befruchtung geschenkt worden ist?
Ja, das bin ich. Aber der Satz, den Sie zitieren, ist ja durch seinen Nachsatz sofort aufgehoben worden. Ich sage ja sofort, dass ich weiß, dass das nicht geht. Das Kind kann ja dafür nicht das Geringste, das ist vollkommen klar und das habe ich auch gesagt. Aber mir war es doch darum zu tun, die Assoziationen freizulegen, die aufkommen können.
Soll das heißen, dass Sie Ihre Äußerung von den „Halbwesen“ zurücknehmen wollen?
Nein, ich will es nicht zurücknehmen. Ich will sagen, was Gedanken in prekären Fällen bedeuten können. Das Handeln ist aber ein anderes. Natürlich würde ich niemals einem Kind, das auf solchen Wege entstanden ist und das mir sympathisch ist, meine Zuneigung verweigern.
Aber Sie würden den Eltern dieses Kindes Vorwürfe machen?
Nein, ich würde keine lautstarken Vorwürfe erheben. Nur meine Skepsis bliebe, ob das wirklich ein guter Weg war. Mehr nicht.
Ihr Gastgeber hat sich von Ihrer Rede distanziert und Ihnen ein „beängstigendes Menschenbild“ attestiert. Können Sie diesen Vorwurf nachvollziehen?
Das kann ich, offen gestanden, gar nicht nachvollziehen, denn das ist ja ein traditionelles Menschenbild, das ich verfechte, das stark aus dem Christentum kommt und das den Menschen in seiner ganzen Unbehüflichkeit annimmt. Dass ich einen Abscheu predige vor dem Menschen, ist absurd. Allerdings bin ich skeptisch gegenüber bestimmten medizinischen Machinationen und zwar, was den Tod und das Leben betrifft. Ich finde, es geht zu weit, wenn man so stark eingreift in Fragen der Fortpflanzung und auch des Todes.
Sie haben in Dresden gesagt, sie hielten das biblische Onanieverbot für weise. Möchten Sie auch Homosexualität verbieten und unter Strafe stellen?
Auf gar keinen Fall. Das ist absurd. Wenn Sie eine Rede schreiben, dann kommt Ihnen doch auch mal als Würzmittel ein scharfer Satz unter, um die Leute aufzuwecken. Ich habe mich im ganzen Leben noch nie in irgendeiner Weise polemisch gegen Onanie ausgesprochen und würde sie niemandem verbieten wollen. Aber dass manchmal bestimmte Dinge, die in der Bibel vorhergesagt sind, in dem Moment, in dem sie zu einer so katastrophalen Entwicklung führen können, plötzlich eine ganze andere Dimension bekommen, das kann man doch sagen.
Was genau meinen Sie mit dieser „katastrophalen Entwicklung“?
Die Selbstermächtigung der Frauen. Ich finde, zu einem Kind gehört auch der Mann. Es gibt natürlich Fälle, in denen der Mann abhanden kommt, durch Krieg oder zerstörte Beziehungen, das ist dann etwas anderes. Aber die Fortpflanzung von vornherein so anzulegen, dass sie ganz und gar in der Hand von Frauen liegt und der Mann nur noch als Samenspender figuriert – das halte ich in der Tat für eine Katastrophe.
Und was halten Sie davon, wenn ein männliches Paar ein Kind aufzieht?
Nun, es gibt Notfälle, in denen das natürlich eine Lösung sein kann.
Ich denke an gleichgeschlechtliche Paare, die einen Kinderwunsch haben.
Vielleicht muss man sich aber damit bescheiden, dass mit einer Sexualität dieser Art das Kinderkriegen nicht einhergeht. Wenn das nicht akzeptiert wird, dann kann ich das nicht verstehen. Es geht mir wirklich auch darum, den Mann nicht zu beseitigen aus der Erziehung. Das ist mir wichtig. Ich finde, die Männer sind in unserer Gesellschaft stark im Rückzug begriffen, was Erziehungsfragen angeht. Das halte ich für schwierig.
Ihre Aussagen sind religiös motiviert. Wer will, kann sich ja an die Gebote des Alten Testaments halten. Warum reicht Ihnen das nicht?
Darf ich in einer Rede nicht sagen, was ich denke? Ich verlange doch keine sofortige Gesetzesänderungen oder derartiges. Aber ich werde doch in einer Debatte meine Skepsis gegenüber Methoden der Reproduktionsmedizin formulieren dürfen.
In Ihrer Rede sprechen Sie auch von den persönlichen Erfahrungen mit dem Feminismus, die Sie in den siebziger Jahren in Berlin gemacht haben. Es klingt, als glaubten Sie, dass die Frauenbewegung schon damals daran dachte, die Reproduktionsmedizin zu instrumentalisieren.
Das ist wohl doch eher ein unbewusster Prozess gewesen. Es ging ja auch etwas anders los, nämlich mit der Parole „Mein Bauch gehört mir“, die mir schon damals unangenehm war, weil sich dahinter eine Form von Eigensucht verbirgt, die ich nicht verstehen kann. Denn in diesem Bauch entsteht ja erstens ein neues Leben, an dem zweitens ja doch auch ein Mann beteiligt war. Damals dürfte begonnen haben, was ich als Selbstermächtigung der Frau verstehe.
Als Schriftstellerin wissen Sie: Wenn Sie von Halbwesen und abartigen wissenschaftlichen Methoden sprechen, nähern sie sich dem Jargon des Nationalsozialismus an. Warum tun Sie das?
Als „abartig“ habe ich ja nur bestimmte Dinge gegeißelt, etwa das Verfahren, wenn man sich im Katalogverfahren einen Samenspender aussuchen kann. Das habe ich nicht mit Bezug auf ein Paar gesagt, dass mit Hilfe der Reproduktionsmedizin ein Kind bekommen möchte.
Aber die dafür gängigen Verfahren haben Sie als „widerwärtig“ bezeichnet und vom „gegenwärtigen Fortpflanzungsgemurkse“ gesprochen.
Ich beginne meine Rede damit, dass ich sage, dass mein Vater Gynäkologe war. Ein Gynäkologe, der sich umgebracht hat. Das will ich betonen. Ich gebe doch den Menschen im Publikum damit zu verstehen, dass ich anders auf diese Themen reagiere, schärfer und auch persönlicher. Damit ist doch auch ein wenig der Dampf herausgelassen. Und im Übrigen habe ich es gern, wenn man mir widerspricht. Ich will doch nicht unbedingt Recht haben.
Sie vergleichen Teile der Reproduktionsmedizin mit den „Kopulationsheimen“ der Nationalsozialisten. Warum ziehen Sie eine solche Parallele zur Eugenik und zum Rassenwahn der Nazis?
Das ist zwar eine polemische Übertreibung, aber die war durchaus an der richtigen Stelle. Die Nazis haben ja genau solche Forschungen betrieben, und dies auch in Dresden. Das wird heute unter anderen Auspizien gesehen als damals, das ist mir schon klar.
Aber die Nazis wollten nicht nur den Übermenschen züchten, sondern sie haben millionenfach vernichtet, was sie zuvor als „unwertes Leben“ definiert hatten. Und jetzt bezeichnen Sie Kinder, die nicht auf traditionellem Wege gezeugt wurden, als „Halbwesen“.
Ja, der Gedanke durchfährt mich, fast wie ein Blitz, das wird man doch sagen dürfen. Aber natürlich hat das für den Umgang mit einem solchen Kind keinerlei Folgen. Das Kind kann nichts dafür, das habe ich in meiner Rede gesagt. Man wird doch einmal einen schwarzen Gedanken äußern dürfen, oder nicht? Wie oft sagt einer „Ich bringe meinen Nachbarn um“ und tut es nicht.
Ja, aber es gibt einen Unterschied. Sie sind Schriftstellerin, und Sie haben diese Rede öffentlich gehalten.
Das stimmt. Aber ich bin nicht dafür, dass man Gedanken, die überall aufkeimen, ständig unterdrückt. Es gibt ein konkretes Beispiel in meinem entfernten Bekanntenkreis. Die Nachbarn, die Freunde, alle reden darüber, wie komisch das Kind auf die Welt kam. Machen Sie sich bitte nichts vor: Irgendwann wird es natürlich auch das Kind erfahren.