Richard Wagner wird siebzig : Überlebt, das auch, ja
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Richard Wagner Bild: Matthias Lüdecke - FAZ
Er ist der Fixstern der deutschsprachigen Literatur des Banats: Zum siebzigsten Geburtstag des Schriftstellers Richard Wagner.
Sein erstes Buch trug einen Titel, der im Grunde alles sagt über den Schriftsteller Richard Wagner: „Klartext“. Dieser Gedichtband erschien 1973, allerdings in einem Land, in dem Klartext unerwünscht war, in Rumänien. Dort wurde Wagner 1952 geboren, als Sohn einer deutschstämmigen Familie im Banat. Bereits in einem Deutschzirkel seines Gymnasiums trat das lyrische Talent zutage, und als sich Ende der sechziger Jahre die neunköpfige „Aktionsgruppe Banat“ aus jungen dortigen deutschsprachigen Schriftstellern zusammenschloss, war Wagner so etwas wie ihr Herz: der wagemutigste Schriftsteller unter den Mitgliedern und derjenige, der den Großteil der organisatorischen Arbeit besorgte.
Beim Germanistikstudium in Temeswar lernte Wagner Herta Müller kennen, und immer mehr deutschsprachige rumänische Schriftsteller versammelten sich um ihn, doch er sollte der Einzige bleiben, dem es noch vor der Zerschlagung der Aktionsgruppe Banat durch die Securitate im Jahr 1975 gelang, auch ein Buch zu publizieren, ebenjenen Lyrikband „Klartext“. Wagner zog damit einigen Neid auf sich, aber niemals wurde ihm unterstellt, dass er sich für die Publikation kompromittiert hätte, wie es viele andere Autoren in Rumänien damals taten. Trotzdem konnte er vier weitere Gedichtbände in Rumänien veröffentlichen und 1980 auch einen ersten Prosaband: „Der Anfang einer Geschichte“. Es war tatsächlich einer, denn obwohl Wagner fortfuhr zu dichten, nahmen Romane und Erzählungen einen immer größeren Raum in seinem Werk ein.
Assoziationsreiche Buchtitel
Dabei beweist er ein untrügliches Gespür für assoziationsreiche Buchtitel, seien es etwa „Rostregen“, „Der Himmel von New York im Museum von Amsterdam“ oder – allerschönstes Beispiel – „Der Mann, der Erdrutsche sammelte“. Und genauso einfallsreich und dabei doch unprätentiös ist auch seine Lyrik. Kurz vor seiner Ausreise in die Bundesrepublik entstand das Gedicht „Curriculum“, mit dem er die Summa seiner Erfahrungen mit politischer Repression zog: „Nicht erschlagen, fertiggemacht. / Belogen, bis ich selber log. / Nicht nackt, nur mir selber entzogen. / Nicht mit Steinen beworfen, nicht mit Worten. / Bloß mit Schweigen traktiert. / Nicht verhungert, aber der Kopf eine Höhle. / Davongekommen, überlebt, das auch, ja.“
Er verließ Rumänien 1987, zusammen mit Herta Müller, die er 1984 geheiratet hatte. Schon zwei Jahre später kollabierte Nikola Ceauşescus Herrschaft, und die Ehe wurde geschieden. In Deutschland war Wagner weiterhin der Fixstern der rumäniendeutschen Autoren, auch weil er offener autobiographisch (und damit über die gemeinsamen Erfahrungen) schrieb als die anderen, etwa in „Ausreiseantrag“ und „Begrüßungsgeld“, seinen ersten Veröffentlichungen im neuen Land. Und er blieb kompromisslos in seinem Blick auf politische Verfehlungen: Es war Wagner, der zwanzig Jahre nach dem Ende der Diktatur die Verstrickungen von Rumäniendeutschen aus dem Banat mit dem Ceauşescu-Regime und damit auch etliche prominente Kollegen anprangerte, besonders den 2006 gestorbenen Oskar Pastior. Über diesen Streit zerbrach der Ende der Sechzigerjahre begründete Freundschaftskreis.
2015 publizierte Wagner „Herr Parkinson“, eine ebenso sprach- wie gefühlsgewaltige erzählerische Abrechnung mit der eigenen Krankheit, verfasst, als ihm klar war, dass er nicht mehr lange würde schreiben können. Sein letzter Lyrikband, „Gold“, versammelte 2017 das, was ihm aus fünfzig Jahren Dichten das Liebste ist. Am heutigen Sonntag wird Richard Wagner siebzig Jahre alt. Was er geschafft hat, wäre selbst bei zwei Leben kaum zu glauben.