Philip Roth zum Achtzigsten : Das Ringen ist vorüber
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Über den Tod schreiben, um zum Leben zu finden: Philip Roth Bild: dapd
Philip Roth ist ein brillanter Chronist des intellektuellen Amerika und einer der bedeutendsten Schriftsteller seiner Epoche. Dass er bis heute nicht den Nobelpreis bekam, kann er verschmerzen. An diesem Dienstag wird er achtzig Jahre alt.
Wer den Namen Newark hört, denkt an Philip Roth. Was Sterblichen nur selten passiert, dass noch zu ihren Lebzeiten eine Straße nach ihnen benannt wird, hat Roth bereits vor acht Jahren hinter sich gebracht: Seit Oktober 2005 trägt der Platz an der Kreuzung zwischen Summit Avenue und Keer Avenue in Newark, New Jersey seinen Namen: Philip Roth Plaza. Der Ort gehört naturgemäß zu den Sehenswürdigkeiten, die den Teilnehmern der Stadtführung „Roth’s Newark“ präsentiert werden, er dürfte vermutlich in der Fotoausstellung zu Ehren von Philip Roth zu sehen sein, die jetzt in der Newark Public Library gezeigt wird, und wahrscheinlich ist das grüne Straßenschild mit dem Namen des Schriftstellers das beliebteste Fotomotiv Newarks überhaupt.
Dass Newark, mit etwa 280.000 Einwohnern die größte Stadt im Bundesstaat New Jersey, eine erstaunlich lange und illustre Reihe berühmter Töchter und Söhne vorweisen kann, dürfte hingegen kaum bekannt sein: Der Schriftsteller Paul Auster und die Architekten Richard Meier und Peter Eisenman, die Schauspieler Ray Liotta und Joe Pesci, die Sängerinnen Whitney Houston, Sarah Vaughan und Queen Latifah sind hier geboren, außerdem so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Jerry Lewis, Paul Simon, Brian de Palma, Ice-T, Wayne Shorter und Shaquille O’Neal. Sie alle kommen aus dieser Stadt und sind weltberühmt geworden. Dass Newark weltberühmt ist, liegt aber nicht an ihnen. Es liegt einzig und allein an Philip Roth. Newark ist unsterblich, weil er es in seinen Büchern unsterblich gemacht hat. Dass viele der bislang 31 Bücher, die Roth innerhalb eines halben Jahrhunderts veröffentlicht hat, nicht von der Unsterblichkeit handeln, sondern von ihrem Gegenteil, dem Tod, ist dabei kein Widerspruch.
Ohne Scheu vor großen Themen
In „Jedermann“, seiner großen Novelle aus dem Jahr 2006, schilderte Philip Roth das Sterben eines Menschen unserer Zeit. Für Hugo von Hofmannsthal, der vor einem Jahrhundert seinen „Jedermann“ für die Salzburger Festspiele schrieb, konnte ein Mensch, der stirbt, „nur Einer sein, der besitzt oder der nicht besitzt. Ich mache halt Einen, der besitzt.“ Roth hat uns gezeigt, dass Hofmannsthals enigmatischer Satz für das 21. Jahrhundert anders formuliert werden musste: Ein Mensch, der heute stirbt, kann nur einer sein, der einsam ist oder der nicht einsam ist.
Dabei sind Lebensgier, Fleischeslust und Todesangst nicht erst im Alter zu den großen Themen von Philip Roth geworden. Ist Professor Kepesh aus „Das sterbende Tier“ (2001, dt. 2003) etwa mehr vom Sexus besessen als es Alexander Portnoy 1969 in „Portnoys Beschwerden“ war? Hat der ehemalige Werbetexter, der in „Jedermann“ mit dem Tod hadert, größere Angst vor dem Sterben als der Sportreporter Smitty, den Roth mehr als dreißig Jahre zuvor auftreten ließ?
Das angstbesetzte „T“
In „The Great American Novel“, jenem 1973 im Original erschienenen und erst im Jahr 2000 ins Deutsche übersetzten Roman, der seinen Anspruch voller Ironie bereits im Titel anmeldet, trägt der Erzähler den vielsagenden Namen Word Smith. Dieser Smitty ist ein Wortschmied, sprachtrunken, alliterationsbesessen, großmäulig, fanatisch, pathetisch, der Wahrheit verpflichtet und der Fiktion verfallen.
Nichts fürchtet er so sehr wie den Buchstaben T: „Tücke, Täuschung, Trug und Tränen, alles schon schlimm genug - aber T wie Tod? O welche Tragik, diese Sache mit dem Sterben. Ich sage euch, auf alles würde ich verzichten, auf Tabak, Tafelfreuden, Tagewerke, Talent, Tändeleien, Tangas, Tanzpartnerinnen, Tapferkeitsmedaillen, Taschenuhren, Taubenbrüstchen, tausend Tavernen, T-Bone-Steaks, Teakmöbel, Techtelmechtel, Teegebäck, Teigwaren, Telefon, Temperament, Teppiche, Tequila, Terrinen voll Tomatensuppe, Tête-à-têtes, Tingeltangel, Tippfräuleins, Titel, Tokaier, Träume - ja, sogar auf das Tageslicht könnte ich verzichten, wenn ich nur nicht sterben müßte. Ach, es ist entsetzlich, wenn man so tattrig ist wie ich, stellt euch vor, Fans, tagein tagaus TOD.“
Man kann an diesem Zitat nicht nur Smittys Obsessionen erkennen, sondern auch die vor Energie schier berstende Lust, mit der Philip Roth über und gegen den Tod anschrieb. Seitdem hat sich sein Stil geändert. Seine Bücher wurden schmaler, ihr Stil ist schlanker, schlichter, konzentrierter geworden, wie vor allem die große Tetralogie „Jedermann“, „Empörung“, „Die Demütigung“ und zuletzt „Nemesis“ gezeigt hat. Dass dieser Roman über eine Polio-Epidemie im Newark der vierziger Jahre sein letzter sein soll, hat Philip Roth vor reichlich einem Jahr völlig überraschend bekanntgegeben. Im November 2011 erklärte er einer verdutzten französischen Journalistin beim Interview, dass er sich einen Zettel an den Kühlschrank geklebt hat, der ihm seine Entscheidung täglich vor Augen führen soll: „The struggle with writing is over“. Künftig wolle er sich seinem Archiv widmen, um seinem Biographen Blake Bailey gut geordnetes Arbeitsmaterial überlassen zu können.
Am Abend seines achtzigsten Geburtstages wird Philip Roth in Newark gefeiert, der Stadt, in der er am 19. März 1933 als Enkel des jüdischen Emigranten Sender Roth geboren wurde und die er immer wieder zum Schauplatz seiner Bücher machte, von seinem 1958 in der „Paris Review“ erschienenen Kurzroman „Goodbye, Columbus“ bis hin zu „Nemesis“. Was das Gedächtnis Newarks betrifft, hat er unlängst gesagt, so sei das nicht Sache der Bewohner, sondern die seine: „Ich bin das Gedächtnis der Stadt.“
Das mag anmaßend klingen, ist aber bescheiden, wenn man bedenkt, was Philip Roth vor allem ist: der brillante Chronist des jüdisch geprägten intellektuellen Amerika, der scharfsinnige Beobachter des Mentalitätswandels seiner Zeit und einer der bedeutendsten Schriftsteller seiner Epoche. Auf den Nobelpreis, der ihm so lange verweigert wurde, kann er getrost verzichten. Die Auszeichnung wäre heute nicht mehr als ein polierter Knopf an der Weste seines Ruhms.