Patrick Süskind wird 70 : Von der Faszination des Bösen
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Galt als unverfilmbar: Patrick Süskinds „Das Parfum“ mit Ben Whishaw, 2006 inszeniert von Tom Tykwer und produziert von Eichinger. Bild: Constantin
Ein phänomenales Tableau der Verführbarkeit und des Verlöschens: Zum siebzigsten Geburtstag des „Parfum“-Autors Patrick Süskind.
Naturgemäß ist „Das Parfum“ große Literatur. Stil, Handlung, Atmosphäre und Erzähldramaturgie des 1985 erschienenen Romans zeugen nicht nur von handwerklicher Brillanz in beinahe jedem Detail, sondern auch von der Souveränität der Gesamtkonstruktion. Das Buch ist enorm spannend und dabei alles andere als eindimensional: Unterhaltsamkeit schließt höhere Bedeutung nicht aus.
Dass diesem keineswegs geringen Kunstwerk auch ein weltweiter Erfolg zuteil geworden ist – aktueller Stand: Übersetzung in 48 Sprachen bei einer Gesamtauflage von mehr als zwanzig Millionen Exemplaren –, hängt aber nicht zuletzt mit der Faszination für das abgrundtief Böse zusammen. Diese Faszination bedient der Roman umso empathischer, je entschiedener er sie verdammt. Kaum ein Kapitel lässt der anonyme Erzähler verstreichen, ohne auf den moralisch verwerflichen Charakter der Hauptfigur und deren ekelerregende Taten zu verweisen, sprich: auf die gut zwei Dutzend Morde, die Jean-Baptiste Grenouille im Lauf seines nicht einmal dreißigjährigen Lebens begeht. Die Opfer sind ausnahmslos Mädchen und junge Frauen von ausnehmender Schönheit. Von Grenouille gemordet werden sie allerdings nicht aus verschmähter Leidenschaft oder sexueller Gier, sondern um der Essenz ihrer Schönheit willen: ihres Geruchs. Ihn gilt es den Opfern erst zu entreißen, um ihn dann als Essenz des Absoluten, eben als Parfum, zu verewigen.
Niemals müde wird der Erzähler, solch abscheuliche Übeltaten zu geißeln. Zugleich bietet er all seine Raffinesse auf, um Vorbereitung und Vollzug der Duft-Morde an drei besonders expressiven Fällen ebenso anschaulich wie ausführlich zu schildern – den großen Rest handelt er dann in zwei kurzen Kapiteln eher summarisch ab. Es sind lauter Lolitas, die ihr Leben lassen, meist rothaarige überdies, denen der Volksmund seit eh und je eine gesteigerte erotische Ausstrahlung zuspricht. Und es sind durchaus Obsessionen der Männerphantasie, die der Roman damit (auch) bedient.
Große Kunstwerke, so Theodor W. Adorno, seien jene, die an ihren fragwürdigen Stellen Glück hätten. „Das Parfum“ hat es mehrfach. Das Zeitbedingte des Romans, nicht zuletzt sein Frauenbild, wird aufgehoben durch das bleibend Gelungene der gleichnishaften Grundstruktur, die am Ende in ein phänomenales Tableau der Verführbarkeit, der Macht und des Verlöschens mündet. Die erzählte Zeit – Paris und das südliche Frankreich zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts – ist atmosphärisch derart dicht gewoben, dass ihr nicht einmal die wohlfeile Karikatur der Aufklärungs-Epoche in Gestalt eines adligen Wissenschaftsnarren etwas anhaben kann.
Ansonsten ist die Galerie der Nebenfiguren exquisit – und Grenouille selbst ein Erzählmirakel. Einerseits eine Synthesefigur mit Anleihen etwa bei Victor Hugos Glöckner von Notre-Dame, Wilhelm Hauffs Zwerg Nase oder dem Blechtrommler des Günter Grass; andererseits ein ganz und gar eigenständiges Individuum, dessen Bösartigkeit durch ein oft liebenswürdiges Auftreten, dessen Verstocktheit durch die Sehnsucht nach Rückzug ausbalanciert werden: das Monstrum als Mitmensch. Mirakulös ist nicht zuletzt, dass und wie es dem Roman gelingt, Grenouilles zunächst bloß behauptetes Genie für sämtliche Gerüche der Welt in Sprache und Szene zu verwandeln und darüber mehr als zu beglaubigen.