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Lesung in München : Ist Peter Handke eine Erfindung?

Zynismus und Kitsch: Peter Handke Bild: dpa

Eine grandiose Doppel-Lesung in München entlarvt Peter Handkes „Winterliche Reise“ als das, was es ist: ein zynisch-kitschiges Werk. Als Kontrast dient Ivo Andrics „Brücke über die Drina“.

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          Die Versuchsanordnung klang wie das Rezept für ein Desaster. In München, so war es in der Onlineausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ angekündigt, werde eine Lesung aus den Werken von zwei Nobelpreisträgern stattfinden: aus der „Brücke über die Drina“ von Ivo Andrić und der „Winterlichen Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“ Peter Handkes. Daran werde sich ein „Streitgespräch“ anschließen: „Dürfen Literaten politisieren?“ Rechten würden die Schauspielerin Inge Rassaerts und der Privatgelehrte Heribert Illig, so war es dem Vorbericht zu entnehmen. Dass Rassaerts, 1934 in Wien geboren, keinerlei Beziehung zu oder Kenntnisse von der Region hat, in der die beiden Bücher spielen, und auch nie als Literaturkennerin hervorgetreten ist, konnte zumindest stutzig machen: Was glaubt so jemand dem Publikum über bloßes Meinen hinaus mitteilen zu können?

          Michael Martens
          Korrespondent für südosteuropäische Länder mit Sitz in Wien.

          Die gleiche Frage konnte man sich angesichts der Vita des nicht ganz unbekannten Heribert Illig stellen. Der hatte in den Neunzigerjahren mit Büchern wie „Karl der Fiktive, genannt Karl der Große“ oder „Das erfundene Mittelalter: die größte Zeitfälschung der Geschichte“ immer wieder die deutschsprachigen Feuilletons (und auch die Leserbriefspalten dieser Zeitung) beschäftigt. Illigs These, stark verkürzt, wird meist wie folgt wiedergegeben: Die drei Jahrhunderte zwischen 614 und 911 hat es nie gegeben. Kaiser Otto III. und Papst Sylvester II. haben sie sich ausgedacht. Sie ließen sie einfach der vorhandenen Geschichte hinzufügen und mit erfundenen Ereignissen und Gestalten ausfüllen. Warum? Weil der Kaiser nicht in dem ollen sechsten Jahrhundert Kaiser sein wollte, in dem er tatsächlich lebte. So seien massenhaft Dokumente und Chroniken gefälscht und vordatiert worden, bis die tumbe Menschheit diese falsche Zeitrechnung und auch den erfundenen Karl für echt gehalten habe. Das klingt absurd und ist es wohl auch, doch wie es dem ungemein belesenen Illig mit seinem geistreichen Schelmenstück gelang, Aufregung in die Fachwelt verschnarchter Universitätsstuben zu pusten, bis sich 1999 sogar der deutsche Mediävistentag mit der behaupteten Nichtexistenz Karls des Großen und seiner Phantomzeit zu befassen veranlasst sah: Chapeau!

          Historisch, kritisch

          Nur: Was hat das mit Peter Handke zu tun? Des Rätsels Lösung: Statt einer spontanen Debatte erlebte das Publikum im privat geführten Hofspielhaus München eine sorgsam komponierte szenische Lesung. Am Anfang standen Ausschnitte aus der „Brücke über die Drina“, die der Schauspieler Dieter Gilde souverän vortrug, wenn auch mit einer Emotionalität, die angesichts der kühlen Dichte von Andrićs Prosa zuweilen überschüssig wirkte. Im zweiten Teil las Rassaerts dann aus der „Winterlichen Reise“ und kommentierte die Passagen voller Lob, während Illig immer wieder mit trockenen Einschüben und analytischen Minireferaten dazwischengrätschte. Er konterkarierte Handke mit Statistiken, Daten, zeitgeschichtlichem Kontext und anderen Tatsachen. Dadurch wurde die Prosa der „Winterlichen Reise“ gleichsam entkleidet und vorgeführt, ihr Zynismus und das ganze verkitschte Kleinhäuslerpathos des Textes kamen zum Vorschein. Es wirkte so, als werde eine historisch-kritische Ausgabe der „Winterlichen Reise“ vorgetragen, die in Wirklichkeit zu Lebzeiten des Dichters natürlich nicht zu erwarten ist.

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